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Persönlichkeiten: Oskar Ziethen – der „Macher“

Aus der Serie „100 Jahre Gross-Berlin, 1920 – 2020“:

Sie wissen es ja, liebe Freunde der „Clemens Kurz Stadtspaziergänge“: bei der Recherche zu bestimmten Themen stoße ich auch immer wieder auf beeindruckende Persönlichkeiten der Vergangenheit, die z. T. bis heute ihre Spuren hinterließen. Und sei es nur als Namen für eine Schule, ein Krankenhaus oder eine Apotheke, wie es bei Oskar Ziethen der Fall war. Als dieser Kommunalpolitiker die Regierungsgeschäfte in Alt-Berlins kleiner Nachbarstadt führte, machte er innerhalb von weniger Zeit, als das heutige Berlin braucht, um einen Flughafen zu bauen und zu eröffnen, aus dem ehemaligen Kloster-eigenen-Dörfchen eine solide, seriös zu betrachtende Kleinstadt im Schatten des „großen Nachbarn“.

Ihnen, liebe Leser, kann ich es ja gestehen: ich bewundere manche der Personen, über die ich schreiben darf. Mancher Blick zurück in die Geschichte wird von mir nicht ohne Respekt getan, zumal, wenn man ihn an der oft trostlosen und wenig beeindruckenden Gegenwart abgleicht. Eine weitere Respektsbezeugung geht also jetzt von mir an den ehemaligen Bürgermeister von Lichtenberg, später „Berlin-Lichtenberg“, Oskar Ziethen (1858 – 1932).

Vielleicht, weil er ein Pommer war und Sie als fleißige Leser meiner Beiträge ja wissen, dass ich selbst ebenfalls pommersche Wurzeln habe, nötigt mir dieser „Herr Bürgermeister“ Respekt ab und hat zumindest einiges an Sympathie bei mir geweckt. Oskar Ziethen hat mit seinem hartnäckigen Verhandlungsgeschick aus seiner unscheinbaren Gemeinde direkt am Alt-Berliner Stadtrand innerhalb kürzester Zeit eine Kleinstadt werden lassen, die letztlich bei den Verhandlungen um die Fusion zu „Groß-Berlin“ gute Karten besaß und dem 17. Stadtbezirk ab 01. Oktober 1920 den Namen gab.

Seitdem gab es mehrere Gebietsreformen. Die östlichen Ortsteile Lichtenbergs namens Marzahn und Hellersdorf wurden zu DDR-Zeiten eigene Stadtbezirke, bevor sie ab 2001 wieder zusammengelegt wurden. Wenn auch nur miteinander und nicht mehr mit dem alten Bezirk. Lichtenberg selbst wurde im selben Zusammenhang 2001 nach Norden erweitert und mit großen Teilen von Hohenschönhausen versehen…aber das ist alles nicht mehr direkt mit Oskar Ziethen verbandelt. Schauen wir uns also diesen umtriebigen Ortsvorsteher von einst mal an:

Das obige Bild, das über diesem Beitrag zu finden ist, zeigt uns einen Mann mit Brille, der etwas skeptisch in die Kameralinse schaut. Diese Skepsis scheint sich aber nur auf die Technik der Fotografie und die Möglichkeiten, von einer Kamera vorteilhaft abgebildet zu werden, zu beziehen, denn Oskar Ziethen, der 1858 in Stettin geboren wurde, scheint nicht gerade an vielen Selbstzweifeln oder einer allzu negativen Lebenseinstellung gelitten zu haben. Wie viele seiner Zeitgenossen, übrigens.

Die „Vorgeschichte“ Ziethens immerhin weist nichts wirklich Besonderes für seine Zeit auf. Der Vater war langjähriger Artillerieoffizier und die Mutter entstammte einer angesehenen Kaufmannsfamilie aus Stettin. Oskar machte 1880 sein Abitur und begann dann ein Studium der „Rechts- und Staatswissenschaften“. Dafür machte er die „große Studentenrunde“ über Freiburg i, Br. , Leipzig und Berlin bis er schließlich 1885 seine Prüfungen in Greifswald ablegte. Eine „typische“ Laufbahn für spätere Kommunalbeamte eigentlich. In seine Geburtsstadt Stettin zurückgekehrt, wird er Referendar am dortigen Amtsgericht, später wird Ziethen hier verbeamtet (1891).

Rathaus Lichtenberg von 1898

Aber die „reine“ Juristerei ist Ziethen nicht genug. So finden wir ihn schon 1892 als Bürgermeister der kleinen Gemeinde Naugard in Pommern (5000 Einwohner) wieder. Hier kann er seinem Organisations- und Gestaltungstalent freien Lauf lassen. Er tut dies vier Jahre lang, bis im bei Alt-Berlin gelegenen Lichtenberg ein Problem auftaucht. So will es jedenfalls eine launige, Berliner Stadtführer-Legende, die mir zugetragen wurde.
Denn: der damalige Ortsvorsteher der Landgemeinde Lichtenberg (dessen Name mir gerade entfällt, wer ihn weiß, schreibt mir bitte…) weigerte sich angeblich, das repräsentative, neue Rathaus (s. o.), welches in der jetzt mit knapp 30.000 Einwohnern gesegneten Gemeinde gebaut werden sollte, abzusegnen. So sägten die Stadtältesten diesen Herrn ab und installierten stattdessen den „Provinzler“ aus Pommern, Ziethen, dem die Idee eines schicken Verwaltungsgebäudes offensichtlich nicht missfiel. Sei daran auch, was es will, aber das Eintreffen Ziethens wurde zum Glücksfall für Lichtenberg, denn jetzt, nach 1896 geht es ab. Unter Ziethen passiert folgendes:

  • 1898 wird das neue Rathaus eingeweiht,
  • 1901 übernimmt die Stadt das zuvor private Wasserwerk und ist somit für Wasserversorgung und Abwasser-Entsorgung der Lichtenberger verantwortlich,
  • 1904 werden Elektrizitätswerk und Gaswerk erbaut, eine ergänzende Umformstation 1910 in Betrieb genommen,
  • Zwischen 1898 und 1913 entstanden in Lichtenberg sechs Gemeindeschulen, eine Höhere Mädchenschule (1908-1910) und das Städtische Realgymnasium und Oberrealschule (1910-1911).
  • 1906 wird das Amtsgericht eröffnet,
  • 1908 wird Lichtenberg das Stadtrecht zugesprochen, (dazu gleich mehr !) ,
  • 1910 wird auf dem Gelände eines ehemaligen Landgutes der „Stadtpark“ eröffnet (s. Foto unten),
  • 1912 wird die Landgemeinde „Boxhagen-Rummelsburg“ eingemeindet, im selben Jahr wird Lichtenberg in das Projekt des „nominellen“ Berlins einbezogen und übernimmt den Begriff „Berlin-“ in den Namen, ebenso ist es Teil des „Zweckverbandes“ Groß-Berlin,
  • 1914 wird das „Hubertus“-Krankenhaus eröffnet, welches später lange Zeit Ziethens Namen trug („Oskar-Ziethen Krankenhaus“) und heute als „Sana-Klinikum Lichtenberg“ privat betrieben wird,
Impression aus dem Lichtenberger Stadtpark

Alleine Ziethens Haltung zum „Groß-Berlin“-Projekt bleibt etwas unklar. Gerade zu diesem, einen Punkt schweigen sich die kurzen Lebensbeschreibungen, die ich für diesen Beitrag zu Rate zog, auffälligerweise aus. Einerseits lenkte Oskar Ziethen Lichtenberg nach seinem Antritt als Orts-Chef ganz klar in Richtung einer größeren Selbständigkeit und Unabhängigkeit, gerade vom großen Nachbarn Alt-Berlin. In seiner Amtszeit wurde  die komplette Infrastruktur für eine kreisfreie Kleinstadt geschaffen (damals: „Stadtkreis“ genannt). Die Einwohnerzahl stieg denn auch dementsprechend von 1896 – 1912 von knapp 32.000 auf etwa 87.000. Was u. a. auch der o. e. Eingemeindung Boxhagen-Rummelsburgs zu verdanken war.
Andererseits nahm Lichtenberg nicht nur am „Zweckverband“ für Groß-Berlin teil, wobei viele der dort beteiligten Städte und Gemeinden gar keine Wahl hatte, ob sie dort mitmachen wollten, oder nicht. Und Lichtenberg nahm auch Teil an der Kampagne für das „nominelle“ Groß-Berlin, bei der sich diverse Gemeinden umbenannten, um eine Strukturreform zumindest im Namen vorwegzunehmen. (Allerdings hätte Ziethen sich auch hier verweigern können. Charlottenburg und Rixdorf/Neukölln taten es. Von Spandau hätte man sogar damals nie erwartet, sich den Begriff „Berlin-“ voranzustellen.)

Was also soll ich daraus schließen ? Vielleicht hatte Ziethen sich anfangs Vorstellungen von der Zukunft Lichtenbergs gemacht, die sich unter dem Fusionsdruck seiner späteren Amts-Jahre direkt vor und nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr umsetzen ließen. Das wäre dann sozusagen „kommunalpolitischer Pragmatismus“ seitens des Bürgermeisters. Aber ich schweife in die Spekulation ab.

Detail vom Rathaus Lichtenberg. Das Wappen der preußischen Provinz Brandenburg.

Oskar Ziethen hatte immerhin gewaltige Hartnäckigkeit gezeigt, als es um die Erhebung seines Ortes zur „Stadt“ ging. Viermal beantragte er die Stadtrechte, wobei er beim letzten Anlauf, ab 1905, eine detaillierte Denkschrift verfasste und an das preußische Innenministerium übersandte. Diesem Gesuch wurde 1907 entsprochen und schließlich soll selbst „Seine allerhöchste Majestät“ persönlich die Zusage abgezeichnet haben. Ab 01. April 1908 war Lichtenberg dann kein Teil des Landkreises Niederbarnim mehr. Sein Ortsvorsteher wurde „Bürgermeister“, ab 1911 sogar „Oberbürgermeister“, bekam aber die Auflage, ein Krankenhaus in der Stadt zu errichten. Wie o. e. wurde dem auch Folge geleistet. Interessantes Detail: Am 1898 errichteten Rathaus finden wir noch heute das Wappen der preußischen Provinz Brandenburg (s. o.), zu der Lichtenberg über den eben erwähnten Landkreis und ab 1908 als Stadt gehörte.

Mit 56 Jahren zog Oskar Ziethen 1914 als Patriot und Offizier einer Landwehrkompanie in den Krieg. Seine Einheiten wurden in heftige Kämpfe gegen die Russen in Ostpreußen verwickelt, Ziethen, gesundheitlich angeschlagen, 1915 wieder in die Verwaltung zurückbeordert.

Was man Ziethen nach dem Ersten Weltkrieg anrechnen muss ist, dass er die Zeichen der Zeit wohl erkannt hatte und beim Übergang seiner kleinen Stadt von der Selbständigkeit in den 17. Verwaltungsbezirk von Berlin noch aktiv mitwirkte (sein Amtskollege in Spandau, Friedrich Koeltze, etwa zog sich vor der Fusion mit Berlin ins Privatleben zurück, genervt von Krieg und Revolutionserlebnissen). Bis ins Jahr 1921 hinein amtierte Ziethen noch als erster Bezirksbürgermeister von Lichtenberg und sorgte für die Neuordnung der Verwaltungsstrukturen. Auch scheint er bei den Verhandlungen über den Zuschnitt des neuen Bezirks wohl auch wieder sein Geschick genutzt zu haben, um etliche Vorort-Gemeinden unter sein Dach zu holen. Der logischen Wahl des benachbarten Friedrichsfelde folgten dann Karlshorst, Marzahn und Hellersdorf, die vielleicht nicht alle offensichtliche Kandidaten für den 17. Verwaltungsbezirk waren.

Nach einer kurzen Auszeit von der Politik ließ er sich 1925 noch einmal dazu überreden, als Stadtverordneter im Wahlkreis Lichtenberg zu kandidieren. Ziethen war noch immer so bekannt, so gut vernetzt und vor allem so anerkannt als „Vater“ Lichtenbergs, dass er natürlich die Wahl gewann.
Am 26. Januar 1932 verstarb Friedrich Wilhelm Oskar Ziethen im später nach ihm benannten Lichtenberger Krankenhaus (na, viele, moderne Stadtpläne nennen es nur noch „Sana-Klinikum Lichtenberg“, es hieß aber jahrzehntelang „Oskar-Ziethen-Krankenhaus/OZK“). Vier Tage später wurde er auf dem städtischen Friedhof Lichtenberg in der Gotlindestraße beigesetzt.

alte Pfarrkirche am Loeperplatz in Lichtenberg.

Mein Fazit:
Oskar Ziethen. Ein Mann (das schreibe ich nicht so leichthin), ein Macher, ein Fachmann mit Verhandlungsgeschick, ein Verwaltungsjurist ohne Realitätsverlust, ein Patriot, ein nüchterner Realist. Lichtenberg verdankt ihm alles, denn ein Anschluss an Berlin hätte auch schon früher und unter für die kleine Stadt viel ungünstigeren Umständen stattfinden können. Sozusagen als „Erweiterung“ vom Friedrichshain. Respekt also vor der Lebensleistung dieses Bürgermeisters.

Quellen:

Fotos:

  • gemeinfrei,
  • von mir, 2020

Text: