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Persönlichkeiten: Oskar Ziethen – der „Macher“

Aus der Serie „100 Jahre Gross-Berlin, 1920 – 2020“:

Sie wissen es ja, liebe Freunde der „Clemens Kurz Stadtspaziergänge“: bei der Recherche zu bestimmten Themen stoße ich auch immer wieder auf beeindruckende Persönlichkeiten der Vergangenheit, die z. T. bis heute ihre Spuren hinterließen. Und sei es nur als Namen für eine Schule, ein Krankenhaus oder eine Apotheke, wie es bei Oskar Ziethen der Fall war. Als dieser Kommunalpolitiker die Regierungsgeschäfte in Alt-Berlins kleiner Nachbarstadt führte, machte er innerhalb von weniger Zeit, als das heutige Berlin braucht, um einen Flughafen zu bauen und zu eröffnen, aus dem ehemaligen Kloster-eigenen-Dörfchen eine solide, seriös zu betrachtende Kleinstadt im Schatten des „großen Nachbarn“.

Ihnen, liebe Leser, kann ich es ja gestehen: ich bewundere manche der Personen, über die ich schreiben darf. Mancher Blick zurück in die Geschichte wird von mir nicht ohne Respekt getan, zumal, wenn man ihn an der oft trostlosen und wenig beeindruckenden Gegenwart abgleicht. Eine weitere Respektsbezeugung geht also jetzt von mir an den ehemaligen Bürgermeister von Lichtenberg, später „Berlin-Lichtenberg“, Oskar Ziethen (1858 – 1932).

Vielleicht, weil er ein Pommer war und Sie als fleißige Leser meiner Beiträge ja wissen, dass ich selbst ebenfalls pommersche Wurzeln habe, nötigt mir dieser „Herr Bürgermeister“ Respekt ab und hat zumindest einiges an Sympathie bei mir geweckt. Oskar Ziethen hat mit seinem hartnäckigen Verhandlungsgeschick aus seiner unscheinbaren Gemeinde direkt am Alt-Berliner Stadtrand innerhalb kürzester Zeit eine Kleinstadt werden lassen, die letztlich bei den Verhandlungen um die Fusion zu „Groß-Berlin“ gute Karten besaß und dem 17. Stadtbezirk ab 01. Oktober 1920 den Namen gab.

Seitdem gab es mehrere Gebietsreformen. Die östlichen Ortsteile Lichtenbergs namens Marzahn und Hellersdorf wurden zu DDR-Zeiten eigene Stadtbezirke, bevor sie ab 2001 wieder zusammengelegt wurden. Wenn auch nur miteinander und nicht mehr mit dem alten Bezirk. Lichtenberg selbst wurde im selben Zusammenhang 2001 nach Norden erweitert und mit großen Teilen von Hohenschönhausen versehen…aber das ist alles nicht mehr direkt mit Oskar Ziethen verbandelt. Schauen wir uns also diesen umtriebigen Ortsvorsteher von einst mal an:

Das obige Bild, das über diesem Beitrag zu finden ist, zeigt uns einen Mann mit Brille, der etwas skeptisch in die Kameralinse schaut. Diese Skepsis scheint sich aber nur auf die Technik der Fotografie und die Möglichkeiten, von einer Kamera vorteilhaft abgebildet zu werden, zu beziehen, denn Oskar Ziethen, der 1858 in Stettin geboren wurde, scheint nicht gerade an vielen Selbstzweifeln oder einer allzu negativen Lebenseinstellung gelitten zu haben. Wie viele seiner Zeitgenossen, übrigens.

Die „Vorgeschichte“ Ziethens immerhin weist nichts wirklich Besonderes für seine Zeit auf. Der Vater war langjähriger Artillerieoffizier und die Mutter entstammte einer angesehenen Kaufmannsfamilie aus Stettin. Oskar machte 1880 sein Abitur und begann dann ein Studium der „Rechts- und Staatswissenschaften“. Dafür machte er die „große Studentenrunde“ über Freiburg i, Br. , Leipzig und Berlin bis er schließlich 1885 seine Prüfungen in Greifswald ablegte. Eine „typische“ Laufbahn für spätere Kommunalbeamte eigentlich. In seine Geburtsstadt Stettin zurückgekehrt, wird er Referendar am dortigen Amtsgericht, später wird Ziethen hier verbeamtet (1891).

Rathaus Lichtenberg von 1898

Aber die „reine“ Juristerei ist Ziethen nicht genug. So finden wir ihn schon 1892 als Bürgermeister der kleinen Gemeinde Naugard in Pommern (5000 Einwohner) wieder. Hier kann er seinem Organisations- und Gestaltungstalent freien Lauf lassen. Er tut dies vier Jahre lang, bis im bei Alt-Berlin gelegenen Lichtenberg ein Problem auftaucht. So will es jedenfalls eine launige, Berliner Stadtführer-Legende, die mir zugetragen wurde.
Denn: der damalige Ortsvorsteher der Landgemeinde Lichtenberg (dessen Name mir gerade entfällt, wer ihn weiß, schreibt mir bitte…) weigerte sich angeblich, das repräsentative, neue Rathaus (s. o.), welches in der jetzt mit knapp 30.000 Einwohnern gesegneten Gemeinde gebaut werden sollte, abzusegnen. So sägten die Stadtältesten diesen Herrn ab und installierten stattdessen den „Provinzler“ aus Pommern, Ziethen, dem die Idee eines schicken Verwaltungsgebäudes offensichtlich nicht missfiel. Sei daran auch, was es will, aber das Eintreffen Ziethens wurde zum Glücksfall für Lichtenberg, denn jetzt, nach 1896 geht es ab. Unter Ziethen passiert folgendes:

  • 1898 wird das neue Rathaus eingeweiht,
  • 1901 übernimmt die Stadt das zuvor private Wasserwerk und ist somit für Wasserversorgung und Abwasser-Entsorgung der Lichtenberger verantwortlich,
  • 1904 werden Elektrizitätswerk und Gaswerk erbaut, eine ergänzende Umformstation 1910 in Betrieb genommen,
  • Zwischen 1898 und 1913 entstanden in Lichtenberg sechs Gemeindeschulen, eine Höhere Mädchenschule (1908-1910) und das Städtische Realgymnasium und Oberrealschule (1910-1911).
  • 1906 wird das Amtsgericht eröffnet,
  • 1908 wird Lichtenberg das Stadtrecht zugesprochen, (dazu gleich mehr !) ,
  • 1910 wird auf dem Gelände eines ehemaligen Landgutes der „Stadtpark“ eröffnet (s. Foto unten),
  • 1912 wird die Landgemeinde „Boxhagen-Rummelsburg“ eingemeindet, im selben Jahr wird Lichtenberg in das Projekt des „nominellen“ Berlins einbezogen und übernimmt den Begriff „Berlin-“ in den Namen, ebenso ist es Teil des „Zweckverbandes“ Groß-Berlin,
  • 1914 wird das „Hubertus“-Krankenhaus eröffnet, welches später lange Zeit Ziethens Namen trug („Oskar-Ziethen Krankenhaus“) und heute als „Sana-Klinikum Lichtenberg“ privat betrieben wird,
Impression aus dem Lichtenberger Stadtpark

Alleine Ziethens Haltung zum „Groß-Berlin“-Projekt bleibt etwas unklar. Gerade zu diesem, einen Punkt schweigen sich die kurzen Lebensbeschreibungen, die ich für diesen Beitrag zu Rate zog, auffälligerweise aus. Einerseits lenkte Oskar Ziethen Lichtenberg nach seinem Antritt als Orts-Chef ganz klar in Richtung einer größeren Selbständigkeit und Unabhängigkeit, gerade vom großen Nachbarn Alt-Berlin. In seiner Amtszeit wurde  die komplette Infrastruktur für eine kreisfreie Kleinstadt geschaffen (damals: „Stadtkreis“ genannt). Die Einwohnerzahl stieg denn auch dementsprechend von 1896 – 1912 von knapp 32.000 auf etwa 87.000. Was u. a. auch der o. e. Eingemeindung Boxhagen-Rummelsburgs zu verdanken war.
Andererseits nahm Lichtenberg nicht nur am „Zweckverband“ für Groß-Berlin teil, wobei viele der dort beteiligten Städte und Gemeinden gar keine Wahl hatte, ob sie dort mitmachen wollten, oder nicht. Und Lichtenberg nahm auch Teil an der Kampagne für das „nominelle“ Groß-Berlin, bei der sich diverse Gemeinden umbenannten, um eine Strukturreform zumindest im Namen vorwegzunehmen. (Allerdings hätte Ziethen sich auch hier verweigern können. Charlottenburg und Rixdorf/Neukölln taten es. Von Spandau hätte man sogar damals nie erwartet, sich den Begriff „Berlin-“ voranzustellen.)

Was also soll ich daraus schließen ? Vielleicht hatte Ziethen sich anfangs Vorstellungen von der Zukunft Lichtenbergs gemacht, die sich unter dem Fusionsdruck seiner späteren Amts-Jahre direkt vor und nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr umsetzen ließen. Das wäre dann sozusagen „kommunalpolitischer Pragmatismus“ seitens des Bürgermeisters. Aber ich schweife in die Spekulation ab.

Detail vom Rathaus Lichtenberg. Das Wappen der preußischen Provinz Brandenburg.

Oskar Ziethen hatte immerhin gewaltige Hartnäckigkeit gezeigt, als es um die Erhebung seines Ortes zur „Stadt“ ging. Viermal beantragte er die Stadtrechte, wobei er beim letzten Anlauf, ab 1905, eine detaillierte Denkschrift verfasste und an das preußische Innenministerium übersandte. Diesem Gesuch wurde 1907 entsprochen und schließlich soll selbst „Seine allerhöchste Majestät“ persönlich die Zusage abgezeichnet haben. Ab 01. April 1908 war Lichtenberg dann kein Teil des Landkreises Niederbarnim mehr. Sein Ortsvorsteher wurde „Bürgermeister“, ab 1911 sogar „Oberbürgermeister“, bekam aber die Auflage, ein Krankenhaus in der Stadt zu errichten. Wie o. e. wurde dem auch Folge geleistet. Interessantes Detail: Am 1898 errichteten Rathaus finden wir noch heute das Wappen der preußischen Provinz Brandenburg (s. o.), zu der Lichtenberg über den eben erwähnten Landkreis und ab 1908 als Stadt gehörte.

Mit 56 Jahren zog Oskar Ziethen 1914 als Patriot und Offizier einer Landwehrkompanie in den Krieg. Seine Einheiten wurden in heftige Kämpfe gegen die Russen in Ostpreußen verwickelt, Ziethen, gesundheitlich angeschlagen, 1915 wieder in die Verwaltung zurückbeordert.

Was man Ziethen nach dem Ersten Weltkrieg anrechnen muss ist, dass er die Zeichen der Zeit wohl erkannt hatte und beim Übergang seiner kleinen Stadt von der Selbständigkeit in den 17. Verwaltungsbezirk von Berlin noch aktiv mitwirkte (sein Amtskollege in Spandau, Friedrich Koeltze, etwa zog sich vor der Fusion mit Berlin ins Privatleben zurück, genervt von Krieg und Revolutionserlebnissen). Bis ins Jahr 1921 hinein amtierte Ziethen noch als erster Bezirksbürgermeister von Lichtenberg und sorgte für die Neuordnung der Verwaltungsstrukturen. Auch scheint er bei den Verhandlungen über den Zuschnitt des neuen Bezirks wohl auch wieder sein Geschick genutzt zu haben, um etliche Vorort-Gemeinden unter sein Dach zu holen. Der logischen Wahl des benachbarten Friedrichsfelde folgten dann Karlshorst, Marzahn und Hellersdorf, die vielleicht nicht alle offensichtliche Kandidaten für den 17. Verwaltungsbezirk waren.

Nach einer kurzen Auszeit von der Politik ließ er sich 1925 noch einmal dazu überreden, als Stadtverordneter im Wahlkreis Lichtenberg zu kandidieren. Ziethen war noch immer so bekannt, so gut vernetzt und vor allem so anerkannt als „Vater“ Lichtenbergs, dass er natürlich die Wahl gewann.
Am 26. Januar 1932 verstarb Friedrich Wilhelm Oskar Ziethen im später nach ihm benannten Lichtenberger Krankenhaus (na, viele, moderne Stadtpläne nennen es nur noch „Sana-Klinikum Lichtenberg“, es hieß aber jahrzehntelang „Oskar-Ziethen-Krankenhaus/OZK“). Vier Tage später wurde er auf dem städtischen Friedhof Lichtenberg in der Gotlindestraße beigesetzt.

alte Pfarrkirche am Loeperplatz in Lichtenberg.

Mein Fazit:
Oskar Ziethen. Ein Mann (das schreibe ich nicht so leichthin), ein Macher, ein Fachmann mit Verhandlungsgeschick, ein Verwaltungsjurist ohne Realitätsverlust, ein Patriot, ein nüchterner Realist. Lichtenberg verdankt ihm alles, denn ein Anschluss an Berlin hätte auch schon früher und unter für die kleine Stadt viel ungünstigeren Umständen stattfinden können. Sozusagen als „Erweiterung“ vom Friedrichshain. Respekt also vor der Lebensleistung dieses Bürgermeisters.

Quellen:

Fotos:

  • gemeinfrei,
  • von mir, 2020

Text:

Persönlichkeiten: Scharnhorst – der „konservative Reformer“

Denkmäler hat man ihm errichtet. Seinen Namen damit bis heute „konserviert“. Gerhard Johann David von Scharnhorst. Militärreformer Preußens, Soldat, „influencer“ der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich. Ein Mann mit gewaltiger Nachwirkung und ungebrochener, militärischer Traditionslinie. Außerdem steht sein Denkmal „Unter den Linden“ in Berlin. Noch ein Grund mehr, ihm mal auf den Zahn zu fühlen !

Ungebrochene Anerkennung und militärische Tradition

SMS „Scharnhorst“, etwa 1907

Das Interessante an der historischen Figur des Gerhard Johann David von Scharnhorst ist, dass er seit seinem Ableben von allen nachfolgenden, deutschen Staaten geehrt oder zumindest respektiert und in die positive Traditionslinie des Militärs eingereiht wurde. Preußen baute ihm Denkmäler (Bayern widmete ihm ebenfalls eine Büste in der „Walhalla“ bei Regensburg), das Kaiserreich benannte einen Panzerkreuzer der kaiserlichen Marine nach ihm (Interessant: das Wrack wurde erst 2019 vor den Falklandinseln entdeckt…lange Geschichte…). Die Weimarer Republik kratzte nicht einmal an dem Podest, auf dem er stand und die Nazis hatten wieder einen Schlachtkreuzer der Marine parat, der seinen Namen bekam. Eines der vier schwersten Marineschiffe überhaupt.

Scharnhorst-Orden der DDR

Die DDR-Volksarmee berief sich auf sein publizistisches Werk und in der DDR erschien auch ein populärer, historischer Roman über ihn (unter dem Autoren-Pseudonym „Hans Pfeiffer“ übrigens…Feuerzangenbowle ließ grüßen). Auch packte man Scharnhorst auf Briefmarken und widmete ihm einen Orden im SED-Staat.
Die Gründung der Bundeswehr in der Bundesrepublik Deutschland wurde ebenfalls im Jahre 1955 bewusst auf den 12. November gelegt, den 200. Geburtstag Scharnhorsts. Also auch hier der Griff in die Traditionskiste. ICH zumindest finde alle diese Dinge beeindruckend. Man kann also sagen, dass preußische Traditionalisten, Deutschnationale und Monarchisten, Sozialisten, Faschisten und Demokraten ihn gleichermaßen klasse fanden und finden. Eigentlich suspekt, wenn ich ehrlich bin….

der Offizier, Schriftsteller, Freimaurer und Lehrer 

Und, wie bei vielen „bedeutenden Preußen“ lag seine Wiege weder in Brandenburg/Havel noch Königsberg. Sondern stattdessen in Bordenau bei Hannover, wo er 1755 geboren wurde. Als Sohn eines Soldaten und Landverwalters. Kein Adel übrigens in Sicht. Den „von“ gaben ihm erst die Preußen im Jahre 1802 (wikipedia sagt 1804, aber die haben auch nicht immer Recht). Zuvor aber arbeitete er sich durch das Hannoversche Militär nach oben. Und schrieb nebenher Werke über die Militärgeschichte. Sein Buch über die Kriegskunst Friedrichs des Großen z. Bsp. brachte ihm erste Tantiemen ein, wurde über Hannover hinaus gelesen, geschätzt und sorgte an einem bestimmten Punkt dafür, dass „die Preußen“ auf den Hannoveraner aufmerksam wurden. Am gegen das revolutionäre Frankreich gerichteten „Flandern-Feldzug“ nahm er für Hannover als Artillerie-Hauptmann, später Major im Stabsdienst teil. Zuvor hatte er bereits an der Artillerieschule in Hannover unterrichtet und war einer Freimaurer-Loge in Göttingen beigetreten. Letzteres nicht ganz ungewöhnlich für diese Zeit, in der „Logen“, Sektiererei und „Salons“ ihre Hochkonjunktur in Deutschland hatten. Nicht vergessen: der große Aufklärer Kant lebte sogar noch ! (Und es gab kein Internet, in dem die „großen Geister“ miteinander hätten chatten können.)

Nach dem Ende dieses Konflikts in den Niederlanden und Belgien 1795 widmete sich Scharnhorst wieder seinen Analysen und Schriften. Gab mehrere Berichte seiner Erfahrungen im Flandern-Feldzug zu Protokoll und machte Eingaben an die Vorgesetzten. Zur militärischen Reform natürlich und ebenso selbstverständlich wurden seine nüchternen, analytischen Gedanken und Anregungen zurückgewiesen. Der Zeitgeist in Hannover (und z. T. auch in Preußen, das werden wir gleich noch sehen) stand eben noch auf „was beim Alten Fritzen und dem Alten Braunschweiger gut war, muss auch jetzt noch funktionieren“. Napoleon wird mit dieser Form des Klammerns am Überkommenen gründlich aufräumen. Nur wenige Jahre später schon.

Scharnhorst wird „Preuße“

Wie schon erwähnt, las man Scharnhorsts Schriften auch in Preußen. Auch manch Militär, vor allem solche, die mit Scharnhorst im Flandern-Feldzug gedient hatten, las seine Analysen und wusste sie zu schätzen. Seine Arbeit ab 1796, als er in Hannover zum Oberstleutnant befördert worden war, fand aber unter den Bedingungen, nur ein Anhängsel Englands zu sein, dort zumindest keine echte Breitenwirkung. 1801 schließlich gab Scharnhorst dem dauerhaften „Werben“ Preußens um den Intellektuellen und Organisator nach.

Grabstätte „von Boyen“, vorne, Grab Scharnhorst („schlafender Löwe“) direkt dahinter, Ex-Invalidenfriedhof Berlin

Und sofort ernannte man ihn zum Leiter einer Schule für „junge Infanterie- und Kavallerieoffiziere“. Erstaunlich, denn wie gesagt war Scharnhorst eigentlich Artillerist. Seine Schüler damals waren übrigens u. a. weitere, spätere Antreiber der preußischen Militärreformen wie Hermann von Boyen (, der heute in unmittelbarer Nähe Scharnhorsts in Berlin begraben liegt) und der bekannte Carl von Clausewitz. Man kann den Einfluss, den Scharnhorsts umfangreiches Wissen um die „Kriegskunst“ und die Historie derselben auf seine Studenten hatte, kaum abschätzen. Ich persönlich komme inzwischen zu der Ansicht, dass Scharnhorst DAS GEHIRN hinter den preußischen Militärreformen war, die am Ende dazu beitragen sollten, die Franzosen wieder aus dem Lande zu bekommen. Aber ich greife vorweg.

Wird mein Beitrag hier wieder zu lang ? Ja. OK. So be it, sorry.

Scharnhorst im Kriege

In Preußen machte sich Scharnhorst nicht nur an die Bildung von jungen Offizieren, sondern er machte auch diverse Eingaben an den König für eine Militärreform. Seine Erfahrungen aus dem Flandern-Feldzug und seine Analysen der ersten napoleonischen Feldzüge veranlassten ihn dazu. Und hier schält sich ein Motiv der kommenden Jahre heraus: Scharnhorst war als Organisator, als „Denker“ in Berlin und Potsdam gefragt, genoss angeblich sogar das Wohlwollen Friedrich-Wilhelms III. , aber daraus leiteten sich kaum mehr als ebensolche Gesten ab: Wohlwollensgesten ohne Inhalt. Denn Scharnhorsts Eingabe von 1802 wurde vom unmittelbaren Umfeld des Königs verworfen oder gleich ganz ignoriert, dafür bekam der Obrist wie schon erwähnt aber den erblichen Adelstitel verliehen. Eine Beförderung in den Generalsrang war jedoch ebenfalls noch nicht in Sicht.

Die Schlacht von Jena und Auerstedt gegen Napoleon erlebte Scharnhorst 1806 dann als Generalstabschef der Hauptarmee unter dem Herzog Karl Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (dem Neffen des „alten Braunschweigers“ Ferdinand und Friedrichs des Großen), mit dem ihn nur diverse Kontroversen um die Disposition der Truppen und die allgemeine, strategische Ausrichtung „verbanden“. Nach der Niederlage zog Scharnhorst sich mit der „Nachhut“ der Truppen unter Blücher in Richtung Norddeutschland zurück und wurde schließlich in Lübeck gefangengenommen, jedoch kurze Zeit später wieder gegen einen französischen Offizier ausgetauscht.

Bei der Schlacht von Preußisch-Eylau 1807 war Scharnhorst wiederum Generalstabschef des preußischen Korps unter dem bereits gesundheitlich schwer angeschlagenen General l´Estocq. Dem beherzten Eingreifen der preußischen Truppen war es zu verdanken, dass Napoleon der russischen Armee unter Bennigsen, die eigentlich bereits besiegt schien, dann doch keine Niederlage beibringen konnte. Der „empereur“ musste sich unverrichteter Dinge zurückziehen und nur der Ermüdung der russischen und preußischen Verbündeten war es zu verdanken, dass die fliehenden Franzosen nicht verfolgt und aufgerieben wurden. Scharnhorst erhält später für seine Leistungen in der Truppenführung den „pour le Mérite“ – Orden.

Scharnhorst als „Minister“

Carl von Clausewitz

In der Folge wurde Scharnhorst Vorsteher des „Kriegsdepartements“ und Vorsitzender einer Reorganisationskommission für das preußische Militär. In dieser Kommission trifft er u. a. von Boyen und von Clausewitz wieder. Auch der ähnlich gesinnte Neidhardt von Gneisenau ist hier vertreten. Auf Scharnhorsts ausdrücklichen Wunsch hin, übrigens. Endlich hat Scharnhorst auch den Rang eines Generalmajors. Kriegsminister und Reformer also. De jure also der zweithöchste Militär nach dem preußischen König selbst. Nur was konnte das im besiegten, besetzten und auf ein paar Provinzen reduzierten Preußen von Napoleons (und Zar Alexanders) Gnaden noch bedeuten ?

Immerhin genug, um den Usurpator und Kriegsherren Napoleon schon 1810 dazu zu bringen, den Herrn General von Scharnhorst ablösen zu lassen. Er gab seinen preußischen Befehlsempfängern einen Wink und der Vorsteher des Kriegsdepartements in Preußen war abgelöst. Dieser Mann schien also gefährlich geworden zu sein. Die französische Presse hatte ihn ja auch immerhin schon vor Jahren als „Kriegshetzer“ oder „Agenten Englands“ u. ä. verschrien…

Denn „Scharnhorst and the gang“ hatten ordentlich losgelegt. Ihre greatest hits:

  • Abschaffung der Prügelstrafe in der preußischen Armee (ein Herzensanliegen von Boyens seit Jahren),
  • endgültige Abschaffung des „Kantonalsystems“ bei der Rekrutierung, stattdessen Schnellkurse als Infanterist für JEDERMANN,
  • Einführung der Qualifikationen für Offiziere. Der Adelstitel alleine reichte nicht mehr aus, eine Grundschulung in Taktik und Führung musste her,
  • Vorbereitung der Umwandlung des soldbasierten Heeres in ein „Volksheer“. Die Idee des „Bürgers in Uniform“, die später noch die Bundeswehr als Grundlage ihres einstigen Grundwehrdienstes betrachtete, kann bis hierher zurückverfolgt werden. Zumindest in unserer Region.

Scharnhorst, ganz Pragmatiker, nahm die Ablösung als Kriegsminister sachlich und widmete sich daraufhin verstärkt einer anderen seiner Herzensangelegenheiten: er baute das militärische Ingenieurskorps in der preußischen Armee auf. Gemeinsam mit seinem Gleichgesinnten, dem Obersten Gustav von Rauch, einem späteren Ehrenbürger Berlins (Nr. 16), nach dem übrigens in meinem Kiez bis heute eine Straße benannt ist.

der finale Kampf

Die eigentlichen Befreiungskriege, die Bündniskriege gegen Napoleon beginnen für Scharnhorst mit einem kleinen Lächeln. Dass ausgerechnet der „eckige, spröde und verschlossene“ Yorck von Wartenburg mit seiner völlig unvorhersehbaren „Konvention von Tauroggen“ die Türen für ein Bündnis Preußens mit Russland gegen Napoleon öffnete, war nicht ohne Ironie. Verkörperte Yorck doch ein Stück weit den Offizier alter Prägung, dessen Wert nur in der Art und Weise, wie er mit persönlichen Erfahrungen umging, ermessen werden konnte. (Andererseits war Yorck davon überzeugt, dass jeder seiner untergebenen Offiziere den Sinn von Befehlen verstehen sollte und sie erklärt werden müssten, DAS immerhin war modern…)

Das Bündnis mit Russland von 1813 befürwortete Scharnhorst, die Errichtung des Ordens „vom Eisernen Kreuze“ regte er beim König an. Das Design dafür lieferte natürlich der geniale Carl-Friedrich Schinkel. Scharnhorst wird der „Schlesischen Armee“ unter Blücher, wieder als Generalstabschef, zugeteilt. Man kannte sich und ergänzte sich. In der Schlacht von Großgörschen, am 02. Mai 1813, erlitt Scharnhorst eine Schussverletzung, die nicht ordentlich behandelt wurde. Das Eiserne Kreuz wurde ihm immerhin ebenfalls zuerkannt und seine Beförderung zum Generalleutnant genehmigt.

Um die noch zögernden Österreicher zum Eintritt in die Anti-Napoleon-Koalition zu bewegen, reist Scharnhorst schließlich in Richtung Wien, erreicht es aber nicht mehr. Er stirbt in Prag an den Folgen der erwähnten Schussverletzung (vermutlich Blutvergiftung o. ä.) am 28. Juni 1813. Ein weiterer „Moses“, der das „gelobte Land“, die Niederringung Napoleons, nicht mehr sehen kann. Dennoch wäre ohne seine Vorarbeit, ohne seine Erkenntnis, dass des „Alten Fritzen“ Linientaktik nicht mehr funktionierte, dass eine Armee tief im Volke verankert sein muss, dass Offiziere qualifiziert sein (oder werden) müssen usw. eine erfolgreiche Kriegsführung gegen Frankreich undenkbar gewesen.

Invalidenfriedhof Berlin, Scharnhorstgrabmal

Gerhard Johann David von Scharnhorst liegt auf dem ehemaligen Invalidenfriedhof in Berlin begraben. Sein Grabmal ist einem Entwurf Schinkels zu verdanken und hat als auffälligstes Merkmal einen Hochsarkophag, auf dem ein schlafender Löwe aus Bronze zu finden ist, der aus der Werkstatt des bekannten Bildhauers Christian Daniel Rauch stammt. Sein Marmor-Denkmal „Unter den Linden“, ebenfalls von C. D. Rauch, wurde 1822 vor der „Neuen Wache“ aufgestellt und findet sich heute auf der anderen Straßenseite wieder. (Witz der Geschichte: Bülow und Scharnhorst sind beide „Jahrgang 1755“ so wie ihrer beider Statuen „Jahrgang 1822“ sind.)

Dies ist ein Beitrag aus meiner Reihe: „die fünf Statuen vom Prinzessinnengarten“:

Quellen:

Bilder:

Text:

Persönlichkeiten: Leopold von Anhalt-Dessau – der Drillmeister

Der „alte Dessauer“ war Schulkindern bis hin zur Weimarer Republik ein Begriff. Er verkörperte viel von dem, was unsere Altvorderen einst für wertvoll und vorbildlich hielten. Wehrhaftigkeit, einen eigenständigen Charakter, Zielstrebigkeit etc. Kein Wunder, dass man ihm Denkmale errichtete. Und das nicht nur in Dessau selbst. Doch wurde auch Missbrauch mit seinem Vermächtnis getrieben. Wird eine historische Figur aber deshalb „böse“ oder weniger wert, weil sie posthum von verachtenswerten Charakteren wie den Nazis mit Beschlag belegt wurde ?

1676_leopold-2Der schottische Historiker und Schriftsteller Thomas Carlyle nennt Leopold, den Fürsten von Anhalt-Dessau, in seiner weit verbreiteten Friedrichs-Biographie „die gewaltigste Masse ungegliederter, menschlicher Lebenskraft“ seiner Zeit. Ich gestehe, dass mir nicht so 100 prozentig klar ist, was er uns damit sagen will, aber ich denke, ins moderne Deutsch übersetzt würde man sagen können: Leopold war ein „Urviech“. Es heißt, er wäre ein etwas mürrischer, wenig mitteilsamer Mann gewesen, der aber als Reichsfürst des „Heiligen Römischen Reiches“ auch über ausreichend Bildung verfügt habe, um sich z. Bsp. in passablem Französisch, der im wahrsten Sinne des Wortes „lingua franca“ seiner Zeit, zu verständigen (wenn er es denn wollte). Auch sei er ein „pfiffiger“, kreativer Kopf gewesen, nicht nur, was das Militärwesen anging. Nun, Sie kennen ja mittlerweile meine Beiträge, liebe Leser, jetzt kommen ein paar Fakten, 🙂 :

Leopold wird 1676 in Dessau geboren. Seine Eltern sind bestens mit diversen Fürstenhäusern Europas verwandt und bekannt. Die Fürsten von Dessau führen ihre Abstammung auf die Askanier zurück, die einstmals auch die Mark Brandenburg einnahmen und besiedeln ließen, aber in diesem Zweig bereits 1320 ausstarben. Von daher ist das Verhältnis der „Dessauer“ zu Brandenburg zumeist sehr freundschaftlich. Schon Leopolds Vater Johann Georg etwa trat in Brandenburgische Dienste, wurde dort sogar Generalfeldmarschall und war zeitweise Statthalter der Kurmark. SEIN Vater wiederum war über dessen Ehefrau bereits mit dem „Großen Kurfürsten“, Friedrich-Wilhelm von Brandenburg, verschwägert gewesen. Die Mutter Leopolds, Henriette – Catharina von Nassau – Oranien, war mit den Herrscherhäusern der Niederlande und Großbritanniens verwandt. Kurz gesagt: die „Dessauer“ waren wer im alten Reich. Hatten „connections“ zu wichtigen Familien.

dsci0247_compressedNach dem Tode des Vaters 1693 wird der junge Leopold, der übrigens nach seinem „Paten“, einem Habsburger-Kaiser benannt wurde, erst einmal auf „Kavalierstour“ geschickt. Seine Mutter, die die Regentschaft über Dessau übernommen hatte, will ihm so etwas mehr „Horizont“, etwas mehr Bildung verpassen, die seine frühkindliche, aufs Militärische gerichtete Erziehung wohl ermangeln ließ. Auch wollte Henriette-Catharina ihren Jungen von der Apothekerstochter Anna-Luise Föhse fernhalten, in die er sich praktisch noch im Kindesalter verliebt hatte. Nun, diese Absicht gelingt nicht, denn Anna-Luise wird, gegen den Rat der Mutter und sogar anderer Fürsten, in dem Jahr seine Frau, als er die alleinige Herrschaft in Dessau antritt, 1698. Mein Respekt gilt diesem Sturkopf, weil selbst noch im 20. Jahrhundert viele, adlige Liebschaften mit „Bürgerlichen“ verpönt waren und Eheschließungen verhindert wurden. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es „tolerabel“ geworden unter den Fürstenhäusern, eben auch Bürgerliche zu heiraten. Prinz William in England, der König Felipe VI. in Spanien etc. Im 18. Jahrhundert war das aber eben noch „unerhört“ und die Halsstarrigkeit, mit der Leopold auf „seiner“ Anna-Luise beharrte, macht mir diese Kriegernatur wieder sympathisch, das gebe ich zu. Sind wir nicht alle ganz tief unten Romantiker, die einen „Sieg der Liebe“ beklatschen ? 🙂 Übrigens wird der Kaiser erst drei Jahre später, 1701, diese Ehe anerkennen, Anna-Luise in den Stand einer Reichsgräfin erheben und ihre Kinder als legitime Nachfolger Leopolds betrachten. Was gut ist, weil Leopolds ENKEL nämlich später das Gartenreich Wörlitz erbauen lassen wird, was ohne die Legitimierung seines Vaters nicht möglich gewesen wäre…(Sie wissen schon: eine andere Geschichte.).

Als Landesfürst führt Leopold diverse Reformen durch, sorgt dafür, dass seine Ländereien wieder produktiv werden und Dessau somit wirtschaftlich unabhängig wird. Auch das war im Spätbarock nicht unbedingt „normal“, wo doch Fürsten dieser Zeit gerne über ihre Verhältnisse lebten und das Geld, das sie eigentlich nicht hatten, verpulverten, als gäbe es kein Morgen. Auch hier: Leopold von Anhalt-Dessau vorbildlich.

Nun, Leopold war sich wie sein Vater nicht zu schade dafür, in brandenburgisch-preußischen Militärdienst zu treten. In diesem nahm er als Lenker des Kontingents Preußens in der Reichsarmee am Spanischen Erbfolgekrieg teil. Hier lernt er das Militärwesen und seine Unzulänglichkeiten aus erster Hand kennen. Zu diesem Zeitpunkt sitzt noch der Großvater des „alten Fritzen“, Friedrich, König „in“ Preußen auf dem Thron in Berlin. Als Leopold „im Felde“ steht, wird z. Bsp. das Stadtschloss in Berlin erbaut. Sie kennen es heute unter dem Namen „Humboldtforum“, auch das eine andere Geschichte.
Als 1712 der „Soldatenkönig“ Friedrich – Wilhelm, den Thron Preußens besteigt, ist Leopold sofort einer seiner engsten Berater. Bereits zuvor war er zum preußischen Generalfeldmarschall ernannt worden und war so de facto der ranghöchste Militär im Lande. Er blieb dies nominell bis zu seinem Tode 1747.

dessauer_compressedJetzt alle Schlachten aufzuführen, an denen Leopold beteiligt war würde ebenso den Rahmen dieses Beitrages sprengen, wie eine weitere Erwähnung der Tatsache, dass auch seine Söhne Dietrich, Eugen und Moritz (der jüngste Sohn, siebtes Kind mit Ehefrau Anna-Luise), in preußische Dienste traten. Moritz überlebte den „Siebenjährigen Krieg“, hochdekoriert und angesehen, nicht. Auch Leopolds Sohn Eugen war zwischenzeitlich Offizier bei den Preußen. Dessen Entlassung durch den damals noch „jungen Fritzen“, 1743 bereits, wird das Verhältnis Leopolds zum Thron in Berlin (und Potsdam) und dem Manne, der auf ihm sitzt, merklich abkühlen lassen.

Am Bekanntesten wurde Leopold von Anhalt-Dessau wohl vor allem für die Reformen, die er dem preußischen Heer, speziell der Infanterie angedeihen ließ. So sind der „Gleichschritt“ beim „Avancement“ (dem Vorrücken) und der eiserne Ladestock auf seine Ideen zurückzuführen, die er zuerst in „seinen“ Regimentern ausprobieren und bei Erfolg dann auf die gesamte preußische Armee ausdehnen ließ. Der Gleichschritt machte im Optimalfall das Manövrieren mit Infanterie-Einheiten leichter. Ein eiserner Ladestock brach beim „Vorderladen“ der Gewehre seiner Zeit seltener ab, was den einzelnen Infanteristen dann eben nicht hilflos dastehen ließ. Der „preußische Drill“, der letztlich ein Anhaltinischer Drill war, den Leopold durchführen ließ, ermöglichte erhöhte Schussfrequenzen von Infanterie-Einheiten durch automatisierte Bewegungsabläufe. Ab etwa 1718 waren seine Neuerungen zum Standard bei der preußischen Infanterie geworden. Ein weiteres, interessantes Detail seiner Militärkarriere ist die Tatsache, dass er von 1734 – 1737 einer der Oberkommandierenden der Reichstruppen Deutschlands war, im Range eines „Reichsgeneralfeldmarschalls“. Nach 1740 wird er aber gemeinsam mit dem Sohn seines Arbeitgebers in direkte Opposition zum „Reich“ geraten. 1745 wird er dennoch wieder  alleiniger Oberkommandeur der Reichstruppen.

Was ist sonst noch interessant an Leopold ? Er war Nichtraucher. Offensichtlich unter Fürsten und Offizieren seiner Zeit eine erwähnenswerte Ausnahme. Schon wieder ein „Charakterzug“, der uns sagt, dass er sich nicht Konventionen anpasste, wo er es nicht wollte. Im berüchtigten „Tabakskollegium“ des Soldatenkönigs, an dem er nachweislich öfters teilnahm, muss er also aufgefallen sein.

alter_dessauerUm dieses kurze Porträt abzurunden sei angemerkt, dass der „alte Dessauer“ unter Friedrich II. in den beiden ersten, schlesischen Kriegen als Kommandeur diente. Ihr persönliches Verhältnis war jedoch nicht mit dem Leopolds zum „Soldatenkönig“ vergleichbar. Dessen Sohn war dieser „Zuchtmeister“, den er hauptsächlich mit der Regentschaft des cholerischen und gewalttätigen Vaters verband, nicht so recht geheuer. Dies beweist z. Bsp. die bekannte Tatsache, dass Friedrich, der zu diesem Zeitpunkt noch der „junge Fritz“ ist, bei Eintreffen der Nachricht, dass es in Österreich Nachfolgeprobleme im Haus Habsburg gäbe, seinen Außenminister Podewils und den General Graf von Schwerin zu sich nach Rheinsberg ans Krankenbett rufen lässt. Der vermutlich ranghöchste und vor allem älteste Feldmarschall Preußens spielt in seinen Überlegungen keine Rolle. Die Verstimmung Leopolds über die Entlassung seines Sohnes Eugen aus preußischem Dienst 1743 habe ich ja schon erwähnt. (Sein Sohn Dietrich dient noch bis 1751 bei den Preußen, wo er erst aufgrund gesundheitlicher Probleme seinen Abschied einreicht. Sein jüngster Sohn Moritz dient sogar noch bis zu seinem Tode 1760 dem „alten Fritzen“.)

Nach dem Ende des zweiten, Schlesischen Krieges 1745 zog sich Leopold deshalb nach Dessau zurück. Friedrich hatte mit Jakob von Keith, dem schon erwähnten Grafen von Schwerin und anderen mittlerweile „seine“ eigenen, bevorzugten Generäle gefunden. Zuvor aber kommt es noch zu dem kolportierten, knappen Gebet Leopolds vor der im zweiten, Schlesischen Krieg entscheidenden Schlacht bei Kesselsdorf:

Lieber Gott, stehe mir heute gnädig bei! Oder willst Du nicht, so hilf wenigstens den Schurken, den Feinden nicht, sondern siehe zu, wie es kommt!

Leopold von Anhalt-Dessau stirbt am 07. April 1747 und wird in der Dessauer Marienkirche, vor der heute (habs vor einigen Jahren selbst gesehen) noch eine Statue an ihn erinnert, beigesetzt. Im Verlauf eines Bombenangriffs am 07. März 1945 und bei folgenden Plünderungen während des unmittelbaren Kriegsendes wurde sein Prunksarkophag zerstört.

P.S.: Ja, liebe Leser, Sie haben es mir geschrieben, ich habe es spät, aber dennoch bemerkt: dies ist der „Nachzügler“ meiner Beiträge über die Statuen vom „Zietenplatz“ in Berlin. Die anderen fünf Standbilder haben bereits vor Jahren ihre Würdigung hier im Blog erhalten. Nun schließe ich diese Reihe also mit dem „alten Dessauer“ ab. Ich hoffe, Sie hatten viel Freude beim Lesen dieser Artikel ! 🙂

Meine Serie der „Statuen vom Zietenplatz und ihre zwei Nachbarn“:

Bildmaterial:

Quellen:

  • Thomas Carlyle, „Friedrich der Große“, Nachdruck bei „area Verlag GmbH“, Erftstadt, 2004
  • Eberhard Cyran, „das Schloss an der Spree“, arani-Verlag, Berlin, 6. Auflage, 1995
  • wikipedia

 

Persönlichkeiten: der „vergessene“ General – Bülow von Dennewitz

Zwischen dem Opernpalais und der Staatsoper Unter den Linden in Berlin finden wir fünf Statuen von Generalen der Befreiungskriege. Ganz „alter Tobak“, alles ganz lange her. Frühere Generationen hielten es aber für angebracht, diese Kommandeure durch Standbilder zu ehren. Einen jener Generäle hätte man hier vielleicht nicht erwartet, weil er in den Geschichtsbüchern, so sie sich überhaupt noch detailliert mit dem Abschütteln der Napoleonischen Herrschaft im frühen 19. Jahrhundert befassen, eher eine Randnotiz darzustellen scheint. Friedrich-Wilhelm, Graf Bülow von Dennewitz. Im Vergleich zu den anderen Namen, die hier „verewigt“ wurden (Gneisenau, Yorck, Blücher, Scharnhorst), schien mir persönlich dieser hier immer etwas mehr Achselzucken auszulösen. Nach meiner internen Logik müssen wir uns DEN also mal genau anschauen. 🙂 Immerhin hieß es von Zeitgenossen, dass er als Kommandeur niemals ins Gefecht gezogen sei und verloren habe. Militärhistoriker mögen das vielleicht anders sehen…

Alleine die Position der zwei Marmorstatuen des Bülow und des Scharnhorst aus der Werkstatt Christian Daniel Rauchs ist bereits ein Politikum für sich. Über 100 Jahre lang befanden diese Standbilder sich nämlich auf der „anderen Straßenseite“, ziemlich genau gegenüber. Sie flankierten die „Neue Wache“ seit ihrer Aufstellung 1822. 1951 wurden sie unter Walter Ulbrichts Ägide abgeräumt und seit die Neue Wache den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gewidmet ist, will man diese zwei Militärs, selbst den in allen deutschen Staats- und Regierungsformen geehrten Scharnhorst, hier gar nicht mehr haben. So kanns gehen. Und damit ging eben auch Rauchs Bülow bei der Neuaufstellung 2002 „über die Straße“. Inzwischen ist er nur noch eine Kopie, da die Auswirkungen der Autoabgase dieser Hauptstraße den Marmor des Originals schwer beschädigt haben. Immerhin ist Rauchs großartige Bildhauerkunst noch immer deutlich sichtbar.

„Befreiungskriege“. Welcher Heranwachsende könnte damit noch etwas anfangen ? Was lernt man heute in den Schulen noch darüber, wenn überhaupt ? Ich wage manchmal gar nicht mehr, mir diese Fragen zu stellen. Die Antworten könnten mich wahrscheinlich verunsichern. Also, hinein ins Leben dieses Generals:

Bülow hat schon eine interessante Vorgeschichte, denn seine Mutter war keine geborene „von“, wie es im Land- und Hochadel (konnte sich überschneiden) seiner Zeit durchaus noch üblich war, sondern eine „Sophie Schultz“, Kantorentochter. Die verfrühte Auswirkung der preußischen Aufklärung ? Schwer zu sagen. Aber ein „reiner“ Blaublüter war unser Friedrich-Wilhelm, geboren 1755 in Falkenberg (heute Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt), eben nicht.

Seine Militärkarriere verlief eher „normal“ für seine Zeit, ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf jene frühen Jahre eingehen, weil dann dieser Beitrag noch viel länger ausfiele, als geplant. Immerhin sah Bülow schon als junger Leutnant Gefechte, bekam früh bereits „Fronterfahrung“ und konnte sich auch als Hauptmann bereits im Gefecht auszeichnen. Es war die Zeit der Kämpfe gegen das revolutionäre Frankreich. So weit, so gut. Was aber brachte ihm später die Ehrung in Form einer Statue ein ? Vielleicht diese, in den Anekdotenschatz der Berliner des 19. Jahrhunderts eingegangene Phrase: Bülow sei der „dreifache Retter“ Berlins gegen französische Vorstöße auf die preußische Hauptstadt gewesen.

Denn in den Befreiungskriegen, die in ganz Europa, aber speziell in Deutschland gegen die Hegemonie Napoleons geführt wurden, war auch nicht alles Gold, was hinterher glänzte. Aber schon Zeitgenossen nannten Bülow auch den „Glücklichen“, was uns heute möglicherweise nicht mehr viel vermitteln kann. War es das „Glück des Tüchtigen“, welches Bülow hatte ? Die Nachwelt sah das immerhin so. Die Gefechte von Luckau, Großbeeren und Dennewitz aus dem Jahre 1813, bei denen Bülow als Generalleutnant ein eigenes Armeekorps befehligte, werden ihm so als „Rettungstaten“ für Berlin angerechnet, denn nach der letzten Niederlage des Marschalls Ney gegen Bülow bei Dennewitz musste Napoleon den Traum von der Eroberung Berlins endgültig aufgeben.

Auch bei der „Völkerschlacht bei Leipzig“ war Bülow mit seinem Korps mittendrin. Es heißt, seine Truppen seien sogar als erste am Ort der Schlacht erschienen. Die Schlacht von Ligny immerhin verpassen seine Soldaten zwei Jahre später. Angeblich, weil Bülow sie nach heftigen Gewaltmärschen „zu lange“ ausruhen ließ. Das sagt aber auch etwas über Bülow als Kommandeur aus. Bei Belle-Alliance/Waterloo 1815 jedoch ist er im entscheidenden Moment zur Stelle, was den Britischen Oberbefehlshaber Wellington später zu der Aussage animieren wird, das Eingreifen von Bülows Truppen sei „durchaus entscheidend“ gewesen. Wer Britisches understatement, vor allem beim Würdigen der Leistungen von Nichtbriten, kennt… A propos, „Würdigungen“: Bülow erhält zahlreiche Orden. Aus den Niederlanden, Österreich und natürlich aus Preußen selbst. Darunter das Großkreuz des Eisernen Kreuzes und den Roten Adlerorden. Aus Österreich den „Maria-Theresien-Orden“, die höchste Militärauszeichnung dieser Zeit. Der König der Niederlande verlieh ihm am 28. Juli 1815 das Großkreuz des Militär-Wilhelms-Ordens. Posthum bekommt er später sogar eine Auszeichnung des royalen Frankreichs. 1814 bereits erhebt ihn der preußische König Friedrich-Wilhelm III. in den Grafenstand als „Graf Bülow von Dennewitz“.

Blücher

Interessant ist es, dass Bülow auch unter zwei anderen, der fünf „Statuen“ des „Prinzessinnengartens“ gedient hat und mit diesen durchaus aneinandergeriet. Gemeint sind natürlich Blücher und Yorck. Denn sowohl ein ungeduldiger, wie ein hochfahrende Zug werden Bülows Charakter nachgesagt. Z. Bsp. ist es ihm unangenehm, einem vier Jahre jüngeren, unehelich geborenen „beinahe Bürgerlichen“ Kaschuben wie Yorck unterstellt zu werden, wo er selbst doch uraltem, mecklenburgischem Adel entstammt. Seine Kantorentochter-Mutter hat er dabei wohl großzügig übersehen. Immerhin folgt er dem Großvater mütterlicherseits insofern nach, dass auch er versucht, wann immer der Militärdienst etwas Zeit lässt, ein wenig Kirchenmusik zu komponieren. Ein komplizierter Charakter wohl, der Bülow. Wenn dieser dann auf andere „Querköpfe“ wie etwa den Misanthropen Yorck oder den schrecklich primitiven, wenn auch sehr lebensfrohen Blücher stößt, waren Zusammenstöße vorprogrammiert. Und erst einen Zauderer, wie den schwedischen Oberbefehlshaber, Kronprinz Bernadotte, der „seinen“ Franzosen kaum ein Haar krümmen wollte, den ertrug er praktisch gar nicht. Kein Wunder also, dass Bülow z. Bsp. die Schlacht von Großbeeren ohne Bernadottes Befehl schlägt (und gewinnt, wie schon erwähnt). Immerhin war Bülow AUCH dafür bekannt, dass er, wenn seine Truppen in Frankreich standen, auf äußerste Disziplin achtete. Plünderungen und sonstige Gewalt gegen die Bevölkerung ließ er ganz nüchtern mit Erschießen bestrafen. Denn sein erklärter Feind war Napoleon, nicht die Franzosen selbst.

Ende 1815 wird Bülow dann nach Ostpreußen geschickt, auf einen potentiellen „Ruheposten“, an dem er aber nicht allzulange seine Freude hat, denn er stirbt bereits am 25. Februar 1816 in Königsberg. Angeblich an einer Lungenentzündung.

Die Nachwelt vergaß ihn immerhin nicht. Neben der Statue an prominenter Stelle der Hauptstadt bekam Bülow u. a. auch ein paar Zeilen in Theodor Fontanes „Wanderungen“ spendiert. Ebenso wie den Namen einer Berliner Straße, die dem heutigen U-Bahnhof „Bülowstraße“ noch immer den Namen gibt. Wer hier immer dachte, diese Straße plus U-Bahnhof seien Loriot (Vicco von Bülow) gewidmet, liegt damit leider falsch.

Dies ist ein Beitrag aus meiner Reihe „die fünf Statuen des Prinzessinnengartens“.

Quellen:

Bilder:

  • von mir, 2019,
  • gemeinfrei

Text:

Persönlichkeiten: Christian Daniel Rauch – der Ästhet

Liebe Freunde der Stadtspaziergänge, Sie wissen, dass ich schon seit Längerem die Ansicht hege, dass es Menschen gibt, die zur Verschönerung eines Stadtbildes beitragen und solche, die es in markanter Weise banalisieren oder gar hässlicher machen. Christian Daniel Rauch gehörte unzweifelhaft in die erste Kategorie. Der Bildhauer schuf Werke, die sich einer überregionalen Bekanntheit erfreuen und auch zeitgenössischen Blicken noch zu gefallen vermögen. Von ihrer Wirkung als touristischen Fotomotiven mal ganz abgesehen. Wer aber war dieser „Rauch“ ?

Als citiyguide in Berlin traf ich immer wieder auf seine Werke, sein Name ließ immer mal wieder ein Lämpchen im Gedächtnis aufleuchten. Die üblichen Stadtführer-Legenden arbeiteten sich dann wieder ihren Weg hoch. Rauch, der königliche Lakai, von der unvergessenen Luise gefördert, machte dann eine Karriere als Künstler. Auch das Diktum Schadows vom „in Rauch aufgehen“ fällt einem dann wieder ein. Mal sehen, was wir davon anhand seiner echten Biographie verifizieren können:

Büste Friedrichs II. im Friedrichshain. Von CD Rauch.

Nun, Sie sind es ja schon von mir gewohnt, liebe Leser, ich verweise immer wieder darauf: dieser für Preußen, für Berlin-Brandenburg so bedeutsame Künstler, der seine letzte Ruhestätte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zu Berlin fand, wurde wie so viele „Berliner“ gar nicht „bei uns“ geboren. Er stammt aus dem nordhessischen (Bad) Arolsen, wo er im Jahre 1777 zur Welt kam. Wo es übrigens heute ein Museum zu seinem Angedenken gibt.

Rauch stammte aus wirtschaftlich eher schwierigen Verhältnissen. Der Vater war Soldat, später Kammerdiener eines Duodez-Fürsteleins. Dennoch achtete man bei Rauchs auf die Bildung der Kinder. Christian Daniel erhielt eine solide Schulbildung, die zusätzlich durch Heim-Sprachenunterricht ergänzt wurde. Sein intellektueller Horizont wurde also schon früh offen gehalten. Allerdings ging Rauch bereits im zarten Alter von 13 Jahren in eine Bildhauer-Lehre, bis sein Meister, Friedrich Valentin, keine Aufträge mehr hatte und es für Rauch einfach nichts mehr zu tun gab. Beim Kasseler Professor Johann Christian Ruhl wurde er schließlich für zwei Jahre als Gehilfe anerkannt und lernte hier viele Grundlagen seiner späteren Profession.

Wir sehen: Das „Bildhauen“ war ihm schon früh vertraut. Er sollte nie wieder davon loskommen. Wir Nachgeborenen dürfen dafür dankbar sein, dürfen wir doch seine Kunstwerke bewundern.
Zurück zu Rauch. Sein älterer Bruder Friedrich war Kammerdiener am preußischen Hofe. Als er 1797 überraschend starb, sah sich Christian Daniel Rauch gezwungen, irgendwie für das Überleben der restlichen Familie zu sorgen. So übernahm er „einfach“ die Stelle des Bruders und gelangte so nach Potsdam. Sozusagen „nebenbei“ gelang es Rauch ebenso, zum Studium der Altertumskunde und Kunstgeschichte an der Berliner Kunstakademie zugelassen zu werden. Hier wohl spätestens schulte er sein Auge für Proportionen und Ästhetik der dreidimensionalen Plastik.

Johann Gottfried Schadow

Nach dem Tod des preußischen Königs Friedrich-Wilhelms II. wurde Rauch als Kammerdiener in den Haushalt der Königin Luise übernommen, die er auch auf Reisen begleitete. Seine Kontakte zur Kunstakademie reichten aber schon bald bis zum „Hofbildhauer“ Johann Gottfried Schadow (Sie wissen schon: Quadriga auf dem Brandenburger Tor etc.). Dieser erkannte das Talent Rauchs und begann ab ca. 1803, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Aus dem Hofdienst entlassen wurde Rauch aber zunächst nicht. Was seine Zeit im Atelier natürlich einschränkte, aber immerhin für eine konstante Einnahmequelle sorgte. Das darf man nicht unterschätzen. Staatlich geförderte „Kunstprogramme“ gab es damals eben noch nicht.

Immerhin lernte Rauch aber von einem anerkannten Meister, eben Schadow, was ihm weiterhin sicher nicht geschadet hat. Eher schon seinem Mentor, denn nicht umsonst wird Schadow später ein wenig bitter sagen: „Mein Ruhm ist in Rauch aufgegangen.“ Wobei es eigentlich das ultimative Lob für den Lehrer ist, wenn der Schüler ihn übertrifft…

Über das in bürgerlicher Hinsicht vielleicht etwas „zweifelhafte“ Privatleben Rauchs möchte ich eigentlich lieber schweigen. Er hatte zwei uneheliche Töchter, die er mangels echtem Interesse fix zu einem Vetter nach Bad Pyrmont abschob. Immerhin erkannte er sie an, sorgte für sie und erwirkte auch, dass die Töchter seinen Nachnamen tragen durften. Das war schon etwas. Sein Verhältnis zur Mutter der beiden Kinder ist jedoch irgendwo zwischen „angespannt!“ und „nicht vorhanden“ gelagert. Na, ja. Ich wollte ja eigentlich keinen Schatten auf Rauch werfen. Bleiben wir also besser bei seiner Arbeit und seinem Werk.

1804 erhielt der inzwischen als „Talent der Zukunft“ gehandelte Christian Daniel Rauch dann doch noch ein königliches Stipendium für einen mehrjährigen Italien-Aufenthalt. In Rom lernt er dabei den preußischen Gesandten beim Vatikan, Wilhelm von Humboldt, kennen, der ihn den „üblichen Verdächtigen“, also der Künstlerkolonie in der „Ewigen Stadt“ vorstellt. So bekommt Rauch u. a. Kontakt zu Bildhauer-Größen wie Antonio Canova und Berthel Thorvaldsen. Jetzt kann er seine Technik und sein Auge an der antiken Klassik, der barocken Pracht und ihren Bewunderern schärfen. Dass er in Rom und Carrara, wo er sich dem Marmor als Material widmet, nebenbei die preußische Niederlage gegen Napoleon, die Besetzung durch französische Truppen und den beginnenden Widerstand dagegen aussitzt, wird ihm, der im Kontakt mit Berlin stand, sehr wohl bewusst gewesen sein.

Grabmal der Königin Luise in Charlottenburg. CD Rauch.

Kann man die bisherigen Jahre als „Lehrzeit“ betrachten, so beginnt ab etwa 1810, noch einige Zeit vor dem  Ende der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich, Rauchs eigentliche Schaffensperiode. Er erhält nämlich auf Fürsprache von Humboldts den Auftrag, die liegende Sarkophag-Figur für die verstorbene Königin Luise anzufertigen und kehrt dafür bereits 1811 zeitweise aus dem italienischen „Exil“ zurück. Das Hin-und-Her um die Ausführung und Auslieferung dieses Kunstwerks lasse ich hier mal beiseite und betone nur, dass es sich tatsächlich um eine Deckplatte aus Carrara-Marmor handelt, mit dem sich Rauch ja bestens auskannte.

Ab jetzt „hebt Rauchs Karriere ab“. Die höchst überzeugende, ästhetisch fehlerlose Arbeit an der Grabfigur der Monarchin bestätigte alle Vorschusslorbeeren, die Rauch zuvor erhalten hatte. Jetzt brauchte er nur noch ein passendes Atelier, was er schließlich im alten, Berliner Stadtzentrum, in der Klosterstraße fand. In einem ehemaligen Lagergebäude. Hier wird dann so recht eigentlich die „Berliner Bildhauerschule“ gegründet, obwohl man eben auch Schadow als deren Vorläufer ansehen kann. Damit dieser Beitrag hier auch mal ein Ende findet, jetzt nur noch in Stichworten die Highlights von Rauch in unserer Region:

Das Blücher-Denkmal Unter den Linden (1826). Der Feldherr mit gezücktem Säbel und einem Fuß auf dem Kanonenrohr. Sagt alles Nötige aus. Rauch soll es selbst bei der Enthüllung schon nicht mehr gefallen haben. Er hätte Blücher gerne ein wenig mehr „antikisiert“ darstellen wollen, heißt es. Dem König Friedrich-Wilhelm III. gefiel die Statue aber so wie sie noch heute ist und deshalb gab es keine Änderungen mehr.

Invalidenfriedhof Berlin, Grabmal Scharnhorst

Die Löwenstatue auf dem Grabmal General Gerhard von Scharnhorsts (1834). Das schlafende Raubtier als Symbol des Kriegers, der sich nur ausruht vom Kampf. Die wunderbare, kleine Anlage war ein Entwurf von Carl-Friedrich Schinkel. Rauch lieferte den Löwen und seine „Carrara-Connection“ für den Hochsarkophag dazu. Es heißt, die Arbeiten an der Löwenskulptur selbst habe Friedrich Tieck nach Rauchs Entwurf ausgeführt.

der Alte Fritz, Reiterstandbild Unter den Linden. CD Rauch

Das Reiterstandbild Friedrichs des Großen (ab 1836 entworfen, enthüllt 1851) Unter den Linden in Berlin. Vielleicht das bekannteste Werk Rauchs in Berlin und Brandenburg. Zumindest eines der am meisten fotografierten, steht es doch in unmittelbarer Nähe von Bebelplatz und Humboldt-Universität.

Die „kranzwerfende Viktoria“ (1846). Heute in der alten Nationalgalerie Berlin aufgestellt. Einstmals im alten Stadtschloss Berlin beheimatet.

Sarkophagfigur Friedrich-Wilhelms III (1846). Ebenfalls in Charlottenburg, im Mausoleum der Königin Luise, zu finden.

Die Büste Friedrichs II. im Berliner Friedrichshain (1848). Siehe Bild oben im Beitrag.

Rauch erhielt für seine Werke und sein Schaffen viele Preise, viele Ehrenmitgliedschaften in der Kunst gewidmeten Gesellschaften usw. Er unternahm weiterhin Reisen nach Italien und besuchte Künstlerkollegen hier und dort. 1832 wird er als „auswärtiger“ in die französische „Akademie der schönen Künste“ aufgenommen. Zehn Jahre später erhält er in Preußen den Orden „pour le Mérite“ für Wissenschaft und Künste. 1851 wird ihm die Ehrendoktorwürde für Philosophie der Friedrich-Wilhelms Universität zu Berlin verliehen (heute Humboldt-Universität). Ebenso bildete er „Nachwuchstalente“ aus, wie etwa August Kiß (St. Georgs-Standbild im Nikolaiviertel) oder Friedrich Drake (Viktoria auf der Berliner Siegessäule). Selbst Reinhold Begas soll noch ein wenig vom Genie des Christian Daniel Rauch profitiert haben, als „junger Spund“.

Grabmal Christian Daniel Rauchs in Berlin.

Rauch ist noch bis ins fortgeschrittene Alter tätig. Bekommt auch mit 70 Jahren und mehr reichlich Aufträge, von denen er sogar einige ablehnen muss (und z. T. auch will, weil ein sich ändernder Zeitgeschmack von ihm nicht mehr geteilt wird). 1857 schließlich erkrankt er schwer. Begibt sich zur Behandlung nach Dresden, wo er am 03. Dezember verstirbt. Sein Grab ist heute ein Ehrengrab der Stadt Berlin und befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte. Rauchs Spuren finden wir jedoch an vielen Orten noch heute.

Quellen:

Text:

Fotos:

  • Gemeinfrei,
  • von mir, (c) 2019,
  • gemeinfrei,
  • von mir, (c) 2018,
  • von mir, (c) 2020,
  • von mir, (c) 2017,
  • von mir, (c) 2016

 

 

 

Pesönlichkeiten: Yorck – der „Franzosenfresser“

Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg ist heutzutage aus den öffentlichen Traditionsbekundungen unserer Republik weitgehend verschwunden. Kein Wunder, galt er doch früher und gilt für viele noch heute als der „Franzosenfresser“, dem der Kampf gegen Napoleon im Blute steckte. Was man natürlich in Zeiten von „EU-Europa“-Illusionen und europäischer „Superstaatsphantasien“, die oft mit einer extremen Frankophilie einhergehen, nicht mehr zu brauchen glaubt, sind „alte Feindbilder“. Na, ja. Wie es auch immer derzeit um die deutsch-französischen Beziehungen bestellt sein mag, über Yorck wird man dennoch weiter reden müssen. Und sei es „nur“ unter einem ganz anderen Aspekt: wenn historisch Halb- oder Ungebildete uns wieder vom „preußischen Kadavergehorsam“ daherfaseln wollen, können wir ihnen nicht nur Marwitz und Seydlitz, sondern auch Yorck entgegenhalten. Na, dann, hinein in Yorcks Leben:

Yorck wurde unehelich 1759 in Potsdam geboren. Für die damalige Zeit ein Skandal, der erst vier Jahre später durch die Heirat seiner Eltern einigermaßen gedeckelt wurde. Seine Familien-Wurzeln reichen wohl ins Kaschubische zurück und noch der Großvater nannte sich wohl „Jarka von Gostkowski“ und erst zu Zeiten seines Vaters wurde der Name dann wohl auf „Yorck“ geändert und das allzu polnische „Gostkowski“ gleich ganz weggelassen. Immerhin: Yorcks Vater, David Jonathan von Yorck, war bereits preußischer Offizier. Hauptmann einer Grenadierkompanie.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sein Sohn Ludwig schon mit 13 Jahren als Junker in ein Infanterieregiment eintrat. Bereits 1777 wurde er zum Leutnant ernannt. Und zog in diesem Range in den „Kartoffelkrieg“ um Bayern. Ohne jetzt allzuviel in seine Militärlaufbahn eintauchen zu wollen, wird aber schon früh deutlich, dass Yorck KEIN bequemer Untergebener war. 1780 wird er zum ersten Male aus dem Militärdienst entlassen. Wegen „Insubordination“. Was hatte Yorck getan ? Er hatte es einem diebischen und charakterlosen Vorgesetzten gegenüber an „gebührender Hochachtung“ fehlen lassen. Und DAS genau erinnert an mehr als eine überdurchschnittliche, außerordentliche, preußische Militärkarriere. „Zieten aus dem Busch“ etwa zog sich mehrfach wegen verletzter Ehre aus dem Militärdienst zurück bzw. wurde aus Regimentern gefeuert, weil er sich Ehren-Duelle mit Vorgesetzten lieferte. Und sowohl Zieten, wie auch Yorck wird man später Denkmäler errichten. „Einfach zu kommandieren“ ? „Kadavergehorsam“ ? Wohl kaum. Sklavische Unterwerfung ohne Sinn und Verstand ist deutsch. Preußisch war sie nicht.

Für Yorck immerhin zeigt sich hier bereits die Sperrigkeit seines Charakters, die eben tatsächlich mit der eines „Papa Zieten“ verglichen werden kann. Ein hochentwickeltes Ehrgefühl und eine darauf gründende Ethik prägten Yorcks Charakter sein Leben lang. Einfach machte er es seinen Zeitgenossen damit nicht, aber ich schätze, er konnte sein Leben lang in den Spiegel sehen, ohne angewidert zurückzuzucken. Dem kann und will ich meine persönliche Bewunderung nicht verweigern. Wenn ich mir die „Promis“ unserer Tage dagegen ansehe…

Ein Jahr Festungshaft bekam der „Insubordinierende“ Yorck dann auch noch aufgebrummt, die er in Königsberg absitzen musste. Zu Lebzeiten Friedrichs des Großen (gest. 1786) wurde Yorck nicht mehr in den preußischen Militärdienst aufgenommen, obwohl er zwei dementsprechende Gesuche zur Rückkehr stellte. Erst der „dicke Lüderjahn“, Friedrich-Wilhelm II. wird 1787 Yorck eine Rückkehr ins preußische Militär erlauben. Zuvor aber hatte Yorck in einem Regiment der Niederlande gedient, wo er sogar ein wenig von der weiten Welt sah, als diese Truppe für Frankreich in Sri Lanka kämpfte. Ob Yorcks legendäre Ablehnung Frankreichs schon hier seine Wurzeln hat ? Man hasst ja selten ohne Grund, ohne zu wissen WEN oder WAS. Ablehnung entsteht oft ja auch erst aus Erfahrung.

Preußische Militärkarriere

Ab jetzt machte Yorck die Karriere, die ihm unter Friedrich dem Großen noch verwehrt geblieben war. Vom Hauptmann 1787 bringt er es bis 1805 zum Obersten und Kommandeur eines Regiments. Beim Ausbruch des Preußisch-Französischen Krieges 1806 wird ihm das Kommando über die 1. leichte Brigade, die Vorhut der Truppen des Herzogs von Weimar übertragen. An der fatalen Schlacht von Jena und Auerstedt nimmt er nicht teil. Beim Eintreffen der Nachricht von der Niederlage zieht er sich mit seinen Einheiten über den Harz zurück, um sie mit Blüchers Korps zu vereinigen. Bei Rückzugsgefechten gegen die vorrückenden Franzosen wird er schließlich verletzt und gefangengenommen, aber 1807 gegen französische Offiziere wieder ausgetauscht.

Er bleibt weiter im Dienste und wird zunächst nach Westpreußen versetzt, wo er, der den preußischen Reformen dieser Zeit eigentlich kritisch gegenübersteht, an den Militärreformen insofern seinen Anteil nimmt, als er die ihm unterstehenden Truppen nach bestem Wissen und Gewissen formt. Dabei gehen die Fachleute heute davon aus, dass Yorck einen ganz anderen Kommando- und Führungsstil favorisiert, als die von ihm oft kritisierten Blücher oder Gneisenau. Yorck, der zwar ebenfalls auf eiserne Disziplin seiner Truppen setzt (etwas, das ihm wohl zu seiner Zeit als Söldner für die holländische Ostindien-Kompagnie eingebrannt wurde), bevorzugt hingegen Subalterne, die verstehen, WARUM ein Befehl so und nicht anders lautet. Er bevorzugte bestens ausgebildete und selbständige Einheiten, die er für besser einsetzbar hält, als blind folgende Marionetten. Eine rein logische Haltung, die dem an sich eher misanthropischen, an jeglichem „Idealismus“ oder „Fortschritt“ zweifelnden Reaktionär Yorck dennoch zu Gute gehalten werden muss.

Yorck-Standbild in Berlin

Noch 1807 wird er zum Generalmajor ernannt. Er bekommt die Aufsicht über die „leichten Truppen“, deren Ausbildung er sich widmet. Ab November 1811 dann Generalgouverneur Ostpreußens, später zum Generalleutnant befördert, gibt man Yorck dann die Stelle des „Zweiten Mannes“ im preußischen Korps, welches die baltische Flanke der Invasionstruppen Frankreichs nach Russland hin 1812 decken soll. Sein Vorgesetzter, Grawert, ist ein durch und durch frankophiler Kopf, während Yorck, der sich zeitlebens von aktiver Politik fernzuhalten sucht und als reiner Militärfachmann glänzen möchte, ausschließlich am Beweis der guten Einsatzfähigkeit seiner Truppen gelegen ist. Die Tatsache, dass die französischen Besatzer Preußen zu diesen Hilfsleistungen gezwungen haben, mag ihn belastet haben. Als Preuße aber dient er zunächst einmal und fragt erst später nach Sinn und Unsinn (immerhin wird er fragen). Denn zu den „Idealisten“ und „Reformern“ unter den preußischen Generälen, die nach dem erzwungenen, neuen Bündnis mit Napoleon entweder zurücktreten oder gleich ganz in russische Dienste fliehen, gehört er eben gerade nicht.

Tauroggen

Und ausgerechnet dieser reinen Soldaten-Natur wird dann eine hochpolitische Rolle in den Schoß fallen, mit der er sich zwar seinen Platz in den Geschichtsbüchern sichert, aber dennoch nur geradeso sein Gewissen, das ihm zusetzt, bezwingt. Natürlich rede ich von der „Konvention von Tauroggen“. Ordnen wir diese also mal kurz ein:

Wir wissen es: der Feldzug von Napoleons „Grande Armee“ nach Russland wird von der Weite der Landschaft, von verbissenem, russischen Widerstand (Borodino) und einem brennenden Moskau letztlich ad absurdum geführt. Die Truppen müssen sich wieder zurückziehen. Unter schrecklichen Umständen, im Frost des Winters 1812/13. In Deutschland wird gar ein Spottlied darüber gedichtet, das etwa so beginnt:
„Mit Mann und Roß und Wagen,
so hat sie Gott geschlagen!“
Napoleon rast bereits voran und flieht in aller Eile, um den politischen Folgen dieses Desasters in Paris zu begegnen, während seine Soldaten und die Soldaten diverser, meist deutscher Hilfskontingente in Scharen erfrieren, von russischen Kavalleristen geschnappt werden oder verhungern.  Was bedeutet das nun für das inzwischen alleine von Yorck geführte, preußische Hilfskorps im Baltikum ?

Diese Frage stellen sich nicht nur Offiziere in Preußen, nicht nur deutsche Offiziere in russischen Diensten, sondern auch Yorck, der wie erwähnt den erkrankten Grawert inzwischen im Kommando abgelöst hat. Dass es unter deutschen, unter preußischen Offizieren seit 1806 nur wenig Sympathien für Frankreich gab, ist bekannt. Dass man lieber mit dem wankelmütigen Despoten, Zar Alexander, im Bündnis wäre, als mit dem größenwahnsinnigen, korsischen Usurpator, ist auch gegeben. Die Erfahrungen, die man etwa mit den französischen Besatzungstruppen in Preußen gemacht hatte, ließen kaum andere Gefühle zu. Wobei gerade Yorck hier aber eine gewisse Indifferenz an den Tag legt. Wie gesagt: er versuchte, sich von der Weltpolitik fernzuhalten, ein reiner Militär-Profi zu sein, der für König und Vaterland seinen Dienst verrichtete.

Wappen Yorcks, Detail vom Standbild in Berlin

Und nun treten diverse, deutschsprachige Unterhändler an ihn heran, die ihm nahelegen, sich von Frankreich zu distanzieren und seine Truppen dem Oberbefehl des französischen Marschalls MacDonald (nein, der verkaufte noch keine Burger) zu entziehen. Eine eigentlich absurde Forderung, da es nur am König war, solche Befehle, die einem Bündnisabfall von Napoleons Frankreich gleichkamen, zu geben. Was auch immer in Russland passiert sein mochte, Yorck hatte weder das Temperament, noch die Befugnis, hier eigenständig zu handeln und sozusagen „aktive Befehlsverweigerung“ zu begehen, da seine letzten Anweisungen ja noch immer die waren, an Frankreichs Seite zu stehen. Am Ende wird er aber doch eine „Konvention“ unterzeichnen, die berühmte „Konvention von Tauroggen“, mit der er seine Truppen zurückzieht und „neutralisiert“. Woher also dieser Haltungswechsel ? Das ist schwer zu sagen. Natürlich machen die mittlerweile in russischen Diensten stehenden Generale Diebitsch und von Clausewitz ordentlich Druck auf Yorck. Auch war er selbst kein wirklicher Frankophiler. Keiner, der in Bildung, Gesinnung oder Geschmack als „französisch“ zu bezeichnen gewesen wäre. Und von denen gab es vor und auch nach 1805 sicher so einige sowohl in Preußen wie im Rest Deutschlands.

Auch war die Demütigung der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt natürlich nicht so völlig impressionslos an Yorck vorübergegangen. Obwohl er selbst daran unbeteiligt war, so war er doch Preuße genug, um die folgenden Kontributionen, Besatzungen und die Plünderungen (Quadriga….) der Franzosen nicht ohne Zähneknirschen hinnehmen zu können. Er wird nach der Zeichnung besagter Konvention am 30. Dezember 1812, mit der sich Yorck tage- und wochenlang schwergetan hatte, einen Brief an seinen König verfassen, in dem er seine Beweggründe darzulegen versucht. Es offenbart sich hier ein scheinbar für Yorck sehr untypischer Opportunismus, wenn er schreibt:

Der Zeitpunkt muss aber schnell benutzt werden. Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Größe wiederzuerlangen, ohne zu große und zu blutige Opfer bringen zu müssen. ….
Die Zeitumstände aber haben ein ganz anderes Verhältnis herbeigeführt, und es ist ebenfalls Pflicht, diese nie wieder zurückkehrenden Verhältnisse zu benutzen.
(aus dem Brief Yorcks vom 03. Januar 1813)

Die Reaktion aus dem Hofstaat des Königs Friedrich-Wilhelms III. und von Seiner Majestät selbst auf die Nachricht aus Tauroggen ist in zwei Phasen unterteilt. In Phase eins, als man noch von einer bedingungslosen Kapitulation Yorcks vor den anrückenden, russischen Truppen ausgeht, ist man mit der Situation noch recht zufrieden. Man kann gegenüber dem französischen Verbündeten dieses Handeln rechtfertigen und behält dennoch eine intakte Truppe in Reichweite. Als aber deutlich wird, dass Yorck eine Art „Neutralitätsvertrag“ für Preußen gezeichnet hat, geht dem Monarchen der Hut hoch. Ein „Subalterner“ hat es gewagt, eigenständig eine Entscheidung zu treffen, die starke, politische Implikationen mit sich bringt. Und das gegen die geltende Befehlslage aus des Königs Kabinett ! FWIII wütet, will Yorck seines Kommandos entheben und vor ein Kriegsgericht stellen. Ein Haftbefehl auf seinen Namen wird ausgestellt !

Aber noch einmal schlägt die „Stimmung“ um. Und zum vielleicht ersten Male in der preußischen Geschichte spielt diese „Stimmung“ unter den Gebildeten, den Freiwilligen, den Bürgern und Adligen mit Ehrgefühl eine Rolle. Denn Yorcks eigenmächtiges Handeln löste spontane Begeisterung unter Politikern, Militärs und sonstigen, preußischen Patrioten aus. Diese offene Abkehr von Napoleon, dieses Neutralisieren des „Yorckschen Korps“ aus ca. 20.000 Mann und dessen Rückzug auf sichere Positionen gibt den Startschuss für die Befreiungskriege in Preußen !  Um diesen Artikel nicht noch länger zu machen, als nötig: auf Friedrich-Wilhelm III. wird in den Wochen nach Tauroggen Druck gemacht. Man drängt den „Zauderer“ unter den Hohenzollern dazu, sich eindeutig gegenüber seinen Preußen zu äußern und das Bündnis mit den Franzosen auf den Mond zu schießen. Aus der Reichweite der napoleonischen Besatzungstruppen schließlich, entfernt sich der König nach Breslau und wird von dort aus am 17. März 1813 die Erklärung „an mein Volk“ unterschreiben und sie drei Tage später in einer Zeitung publizieren lassen. Die Erklärung, in der er seine Preußen zur Vereinigung im Kampf gegen Frankreich aufruft.

Yorck-Denkmal in Berlin. Detail.

Yorck wird in den kommenden Feldzügen immer wieder aktiv ins Geschehen eingreifen, wird u. a. 1813 den Übergang über die Elbe bei Wartenburg erzwingen und damit Napoleons Truppen weiter in Richtung Sachsen treiben, wo dann später die „Völkerschlacht bei Leipzig“ den Korsen beuteln wird. Diese Tat wird vom König später zum Anlass genommen, Yorck im März 1814 zum „Grafen von Wartenburg“ zu erheben. Wir sehen: der Haftbefehl vom Januar 1813 ist nie vollstreckt worden…
Den letzten Versuch Napoleons, Frankreichs Dominanz über Kontinentaleuropa im Jahre 1815 wieder herzustellen, wird Yorck nicht mehr in führender Position erleben. Er sollte ein Reservekorps in Mitteldeutschland kommandieren, woraufhin er sich zurückgesetzt fühlt und aus verletztem Ehrgefühl umgehend seinen Abschied aus dem Militärdienst einreicht. Der ihm allerdings erst nach der Schlacht von „Belle-Alliance/Waterloo“, bei der Bonaparte zum letzten Male besiegt wird und ausgerechnet Yorcks Intimfeinde Blücher und Gneisenau eine wichtige Rolle spielen, gewährt wird.

Yorck zieht sich auf das ihm vom König geschenkte Landgut Klein-Öls in Schlesien zurück. Er bekommt 1821 noch den Rang eines Generalfeldmarschalls verliehen. Neun Jahre später, 1830, verstirbt er auf seinen Besitzungen.

Nachleben:

David Ludwig Yorck von Wartenburg wurde von der Nachwelt auf vielfältige Weise geehrt. Straßen in Berlin und Potsdam wurden nach ihm benannt. Dementsprechend auch Brücken und Bahnhöfe des Nahverkehrs. Auch Denkmale wurden ihm errichtet. Eines davon 1855 in Berlin, Unter den Linden, enthüllt. Es stammt aus der Werkstatt des berühmten Christian Daniel Rauch. Heute steht es zusammen mit den Standbildern Blüchers und Gneisenaus etwas versteckt auf einer mit Hundekot besudelten Rasenfläche (die auch nach diesen Hinterlassenschaften riecht) zwischen Staatsoper und Opernpalais, die man euphemistisch unter Eingeweihten „Prinzessinnengarten“ nennt. Ebenso wird Yorck ein „Yorckscher Marsch“ gewidmet. Dessen Melodie gab es schon seit 1809 und sie stammt von Ludwig van Beethoven. Gewidmet wurde dieser Marsch dann aber 1813 dem Yorck von Wartenburg. Er ist seitdem unter dem o. e. Namen bekannt. Dieses Stück gehört noch heute zum Traditions-Bestand des Musikkorps der Bundeswehr. In der kaiserlichen Marine gab man 1904 einem Panzerkreuzer den Namen „Yorck“. Eine Nachfahrin des Generalfeldmarschalls taufte das Schiff damals. Ironischerweise wird dieser Kreuzer im November 1914 auf eigene Minen auflaufen und sinken. Auch bemerkenswert: ein Ur-Ur-Enkel Yorcks, Peter, Graf Yorck von Wartenburg, wird im Widerstand gegen Hitler aktiv sein und sich am 20. Juli beteiligen. Er wird am 08. August 1944 in Plötzensee hingerichtet.

Dieser Beitrag ist der erste Teil meiner Reihe „die fünf Generäle des Prinzessinnengartens“.

Quellen:

Fotos:

  • gemeinfrei,
  • von mir, 2019

Text:

Persönlichkeiten: der Anschieber – Alexander Dominicus

Aus der Serie „100 Jahre Gross-Berlin, 1920 – 2020“:

Wenn man an das Formieren von Groß-Berlin denkt, fällt vielleicht ein Name nicht mehr, weil man dessen Mitwirkung am „Groß-Berlin-Gesetz“ von 1920 schlicht und ergreifend vergessen hat. Alexander Dominicus, Bürgermeister von Schöneberg, war neben dem Berliner Oberbürgermeister Wermuth der glühendste und aktivste Befürworter der Strukturreform, die schließlich zu dem Berlin führte, wie wir es heute kennen. Widmen wir uns doch im 100sten Geburtsjahr von Groß-Berlin mal kurz diesem Politiker von einst:

Wenn man sich die Geschichte des „Groß-Berlin-Gesetzes“ von 1920 anschaut, fällt auf, dass einige der lautesten und aktivstes Befürworter des Projektes eigentlich gar keine Berliner waren. Zumindest keine gebürtigen, sondern eher Persönlichkeiten, die bewusst Berlin zu ihrer (Wahl-)Heimatstadt erklärt hatten. Was in gewisser Weise auch für die Attraktivität der Hauptstadtregion des alten Kaiserreiches spricht, wenn Männer und Frauen aus ganz Deutschland hier ihre Bildung erhielten, ihre Karrieren machten und ihre Familien gründeten. Hier auch Verantwortung übernahmen und blieben. Ja, der kleine Berliner Lokalpatriot spricht da aus mir, Sie mögen mir das verzeihen, liebe Leser.

Wie auch immer: Alexander Dominicus wurde 1873 im elsässischen Straßburg geboren. Dort, sowie in München und Berlin studierte er später Jura, was ja damals eine gute Voraussetzung für eine zukünftige Beamtenlaufbahn war. 1900 ging Dominicus in den Staatsdienst als Regierungsassessor im heimischen Elsaß-Lothringen. Später trat er der Stadtregierung Straßburgs bei.

Als Beigeordneter von Straßburg soll Dominicus richtungweisende Reformen der Arbeits- und Jugendfürsorge, der Stadtplanung und des Schulwesens veranlasst haben; so richtete er erstmals ein Arbeitsamt ein und regte die Gründung einer Arbeitslosenversicherung an. Das Straßburger Modell wurde später zum Vorbild der deutschen Reichsgesetze über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 1927.
(wikipedia)

Wir sehen also: Dominicus kennt sich mit kommunaler Verwaltung aus, als er 1911 Bürgermeister von Schöneberg wird. Bekanntermaßen der damals unabhängigen Stadt Schöneberg, wenn auch erst seit 1898. Erst 1899 schied Schöneberg dann auch aus dem Landkreis Teltow aus und bildete, analog etwa zu ähnlichen Entwicklungen in Spandau, dann einen eigenen „Stadtkreis“. Heutzutage würde man es wohl eine „kreisunabhängige Kommune“ o. ä. nennen.

Kein Freund von „Groß-Berlin“: Friedrich Wilhelm Georg Koeltze 1852-1939, Zeitgenosse von Dominicus, Januar 1917, mit Amtskette

Dominicus gerät dabei mitten in die Bewegung der Vereinheitlichung von Struktur und Verkehr der Reichshauptstadtregion. Im Jahre 1911 wurde der „Zweckverband Groß-Berlin“ gegründet, dessen Arbeit Dominicus anfangs begeistert unterstützte. Die Abstimmung von Verkehrsplanung, Baumaßnahmen und Infrastrukturverbesserungen zwischen den beteiligten Städten Berlin, Charlottenburg, Deutsch-Wilmersdorf, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg und Spandau (s. Foto: Spandaus Bürgermeister Koeltze) sowie den Landkreisen Niederbarnim und Teltow schien angesichts der rapiden Bevölkerungsexplosion der vergangenen Jahrzehnte nur logisch und sinnvoll zu sein.

Die verschiedenen Interessen der beteiligten Kommunen aber sorgten dafür, dass allzu hochfliegende Pläne, gar ein Vorantreiben des „Groß-Berlin“-Projekts, in weite Ferne rückten. Immerhin verdanken wir heute dem „Zweckverband“ die einheitliche Straßenbahn und das „Dauerwaldgesetz“, welches dafür sorgt, dass Berlin heute noch immer eine der grünsten Metropolen weltweit ist. Alexander Dominicus jedoch, überzeugter „Groß-Berlin“-Befürworter, wollte mehr. Wollte eine einheitliche Stadtregion und ließ in seiner Stadt massiv dafür „trommeln“. So gründete er 1917 den „Bürgerausschuss Groß-Berlin“, die öffentliche Werbeplattform für das Projekt in Schöneberg.

Schon kurz nach seinem Amtsantritt in Schöneberg 1911 übrigens, konnte er den Grundstein für das auch heute noch existierende und später als Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin (West) bekanntgewordenen Rathauses Schöneberg (s. Foto) legen.
Im Ersten Weltkrieg wurde Dominicus, der Reservehauptmann war, aktiviert. Er kam an die Westfront, wurde dort aber schon kurz nach der Ankunft verwundet. Eine Stadt zu regieren ist halt etwas anderes, als ein Soldat zu sein.

Nach dem Krieg trat Dominicus, überzeugter Liberaler, der DDP bei, zu deren Mitgliedern u. a. auch Theodor Heuß gehörte. Das Projekt Groß-Berlin kam zu dieser Zeit wieder auf den politischen „Tisch“ zurück. In der preußischen Landesversammlung wurde am 27. April 1920 endgültig über das „Groß-Berlin-Gesetz“ abgestimmt. In dritter Lesung zwar, da es noch immer Widerstände zu überwinden gab und es in zwei vorangegangenen Lesungen keine Mehrheit für das Gesetz gab. Letztlich fand sich aber eine klare, wenn auch nicht wirklich überragende Mehrheit von 164 zu 148 Stimmen dafür. Am 01. Oktober 1920 trat das Gesetz in Kraft und schlagartig entstand damit die damals flächenmäßig zweitgrößte Stadt der Welt (nach Los Angeles) und die drittgrößte Stadt nach Einwohnerzahlen (nach New York und London).

Auguste-Viktoria Krankenhaus Schöneberg,
© A.Savin, WikiCommons

Und Dominicus´ Schöneberg brachte dabei so einiges mit ein. Ein Krankenhaus (das 1906 fertiggestellte Auguste-Viktoria-Krankenhaus) und eine eigene U-Bahn-Linie (die heutige Linie U4) z. Bsp. Alexander Dominicus selbst begann in der Folge eine politische Laufbahn. War kurzfristig preußischer Innenminister (1921/22) und bis 1924 gehörte er dem preußischen Landtag als Abgeordneter seiner Partei an. In diesem Jahr beendete er seine parlamentarische Laufbahn und zog sich auf andere Tätigkeiten zurück.

So engagierte er sich weiterhin in der „Deutschen Turnerschaft“ einem Sportverband, dessen Vorsitz er 1919 nur knapp verpasst hatte, als er in einer Stichwahl seinem Gegenkandidaten Berger unterlag. Von 1929 – 33 saß er diesem Verband dann doch noch vor, als sein Gegenkandidat von 1919 nicht mehr antrat. Dominicus war von 1927 – 33 auch Vorsitzender des „Deutschen Luftfahrt Verbandes“, der seine Aufgaben im Bereich von Segelsport und aerodynamischer Forschung sah. Die Nazis drängten ihn dann aus dieser Tätigkeit, als sich nach der Machtergreifung Hermann Göring für alles Fliegerische zuständig erklärte und nur Männer mit NS-Stallgeruch dabeihaben wollte. Der Patriot und Liberale Dominicus war den Nazis nicht „linientreu“ genug, so dass er auch den Vorsitz der Deutschen Turnerschaft abgeben musste. Gleichschaltung halt. (sic!)

Dominicus zog dann 1933 aus Berlin fort nach Freiburg im Breisgau. Er zog sich weitgehend ins Privatleben zurück, schrieb ein Buch und unternahm Reisen. Von 1939 – 41 übernahm er noch einmal die Leitung des flugtechnischen Instituts im Baden-Württembergischen Rust. Er verstarb schließlich am 18. Oktober 1945 in Freiburg, wurde aber auf dem Schöneberger Friedhof Stubenrauchstraße in Berlin beigesetzt. Seine Grabstätte ist jedoch unverständlicherweise bis heute KEIN Ehrengrab der Stadt, die er formieren half ! (Es gibt Quellen, die wollen sein Grab in Freiburg verorten…Hm…bis ich den Friedhof Stubenrauchstraße in Berlin mal selbst besucht haben werde und die Grabstätte selber sehe, sage ich nichts weiter dazu !)

In Berlin-Schöneberg ist übrigens die Straße, die vom Bahnhof zum Rathaus führt, nach Dominicus benannt: „Dominicusstraße“.

Quellen:

Text:

Bilder:

Persönlichkeiten: E.T.A. Hoffmann – neben allen Stühlen

Offen gesagt, bin ich mir nicht sicher, wie es um die literarisch-historische Bildung meiner Zeitgenossen bestellt ist. Als Stadtführer habe ich bei der Erwähnung manchen Namens die berüchtigten „Kuh vor offenem Scheunentor“ – Gesichter zu mir zurückstarren sehen. Einer dieser Namen, die zumeist auf keinerlei erkennbare Reaktionen stießen, war der E. T. A. Hoffmanns. Wenn ich ihn in aller Kürze zu würdigen gedachte, bspw. am Berliner Gendarmenmarkt, wo er tatsächlich seine letzten Lebensjahre hindurch gewohnt hat, dann blieb wohl bei meinen Gästen kaum ein nachhaltiger Eindruck zurück. Schulen haben seine Werke wohl nicht (mehr ?) im Lehrplan, oft wird er mit „Hoffmann von Fallersleben“ verwechselt… Deshalb hier ein paar knappe Absätze über den Kapellmeister, preußischen Beamten, Schriftsteller und in gewisser Weise „freien Denker“ Hoffmann.

Sein Grab auf den „Friedhöfen vor dem Halleschen Tor“ in Berlin ist unauffällig. Beinahe zu übersehen. Wer nicht einen Hinweis aus entsprechenden Karten oder Büchern studiert, übersieht es leicht. Was man auf dem Grabstein aber nicht übersehen kann, ist die Tatsache, dass hier ein „E. T. W. Hoffmann“ beigesetzt wurde. Es gibt keinen E. T. A. Den neuen, dritten Vornamen, „Amadeus“ nämlich, den verpasste Hoffmann sich selbst. Aus Liebe zum Werk Mozarts. Geboren wurde er aber am 24. Januar 1776 in Königsberg unter dem Namen „Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann“. So wie es auf seinem Grabstein eben korrekt vermerkt ist (siehe Foto oben).

Ab hier frage ich mich immer, ob der Sohn eines Juristen eine für die damalige Zeit „normale“ Kindheit hatte, oder eine extrem wenig normale. Immerhin dämmert das bürgerliche Zeitalter ja schon… Hoffmanns Eltern trennen sich in jedem Falle bereits zwei Jahre nach seiner Geburt, der ältere Bruder Johann Ludwig geht mit dem Vater, er bleibt bei der psychisch labilen Mutter und deren Familie zurück. Kein Wunder, dass Biographen uns heute erklären wollen, dass unser E. T. W. nie eine wirkliche Bindung zu seinen Eltern aufbauen konnte.

Immerhin verfolgte der Heranwachsende Hoffmann die Juristenlaufbahn. Ganz in der Tradition des Vaters. Seine Noten waren durchgehend gut und so hätte einer typischen, preußischen Beamtenlaufbahn nichts im Wege gestanden. Nichts, außer dem Usurpator Napoleon Bonaparte. Und vielleicht dem jugendlichen Übermut Hoffmanns. Wie dies ? Nun, dazu hole ich ein wenig aus.

Hoffmann war zu Beginn des 19. Jahrhunderts als staatlicher Justizbeamter in die „neupreußischen“ Gebiete versetzt worden. Vermutlich, weil da sonst niemand hinwollte und die jungen Beamten keine Wahl hatten. Wer weiß. Es handelt sich bei diesen Gebieten um die Teile Polens, die Preußen auf den diversen „Teilungen“ zugesprochen bekommen hatte. In Posen, erstmalig weit von der gluckenhaften Familie der Mutter entfernt, legte Hoffmann so richtig los. Er ging seinen musikalischen Neigungen nach, soff wie ein Loch (eine Gewohnheit, die er leider bis zum Lebensende beibehielt) und lernte, obwohl noch verlobt, eine hübsche Polin aus einfachen Verhältnissen kennen und lieben. Marianne Thekla Michaelina Rorer-Trczinska, seine spätere Ehefrau. Ein typisches Bohemien-Leben ? Vielleicht.

1802 passierte etwas in Hoffmanns Leben. Zunächst einmal wird seine Beteiligung an einem Karnevalsstreich in der preußischen Gemeinde Posens angenommen. Auf einem Ball verteilen maskierte Schlingel bissige Karikaturen bekannter Beamter und Honoratioren. Heute wäre das nicht einmal mehr ein erwähnenswerter Studentenulk. Aber wir sind ja im Jahre 1802. Humor gehörte wohl zu den Dingen, auf die preußische Provinzialbeamte gerne verzichteten und so bekam Hoffmann einen schlechten Ruf, der ihm noch ganz konkret schaden würde. Andererseits löste Hoffmann im selben Jahr seine Verlobung auf, um die schon erwähnte „Mischa“ heiraten zu können.

Als Folge des von ihm mitgestalteten Narrenstreichs in Posen wurde Hoffmann zunächst nach einem Kaff namens „Plock“ versetzt. Erst nach zwei Jahren gelang es ihm dann, nach Warschau versetzt zu werden. „Warschau“ ???? Ja, für wenige Jahre (1795 – 1806) gehörte Zentralpolen zu Preußen. Eine historische Petitesse, die aber in unserem östlichen Nachbarland unvergessen ist. Hier im heutigen Polen pflegte Hoffmann seine kompositorischen und sonstigen, musikalischen Neigungen umso intensiver. Wahrscheinlich begann er zu dieser Zeit davon zu träumen, selbst ein Kapellmeister zu werden. Seine Pflichten als Justizbeamter litten immerhin noch nicht darunter. Die Zeugnisse seiner Vorgesetzten waren in diesem Zeitraum immer sehr positiv.

1806 nun, im Verlauf der Niederlage Preußens gegen das Frankreich Napoleons wurde Polen wieder hergestellt. Die preußischen Beamten bekamen von der Besatzungsmacht die Wahl: einen Eid auf den „Empereur“ zu leisten und zunächst weiterzuarbeiten, oder ihre Zelte abzubrechen und zu verschwinden. Es ehrt Hoffmann, m. E. n. , dass er es vorzog, keinen Eid auf einen ausländischen Diktator zu leisten und er stattdessen stillschweigend aus Warschau verschwand. Allerdings war durch diese welthistorische Zäsur auch seine Beamtenlaufbahn zunächst beendet. Ihm machte das nichts aus, denn er wollte ohnehin lieber ein Künstler sein.

Um es kurz zu machen: seine Bemühungen, als Kapellmeister den Lebensunterhalt zu verdienen, scheiterten aber krachend. Zwar arbeitete er ab September 1808 als Musikdirektor in Bamberg, aber man wollte ihn dort nicht wirklich haben. Eine Art „passiver Widerstand“ des dortigen Orchesters und der Sänger, Intrigen gegen den „Außenseiter“ und Hoffmanns Unfähigkeit, diese zu überwinden, führten schließlich dazu, dass er nach zwei Monaten wieder gefeuert wurde. Immerhin entwickelte er hier auch seine literarischen Talente und erfand sein künstlerisches alter ego, den „Kapellmeister Johannes Kreisler“.

Ab jetzt will ich nicht auf den diversen Publikationen, Lebensmomenten und sonstigen Ereignissen aus Hoffmanns Leben im Detail herumreiten. In jedem Falle suchte er nach der Befreiung Preußens von der französischen Besatzung wieder den Staatsdienst. Wurde 1816 auch zum Kammergerichtsrat ernannt. Zuvor hatte er einige, bemerkenswerte, literarische Werke veröffentlicht. Darunter das Märchen „der goldne Topf“. Im selben Jahr 1816 wurde auch seine Oper „Undine“ in Berlin uraufgeführt. Besser ging es Hoffmann niemals mehr. In dieser Zeit unterhielt er u. a. rege Kontakte zur „romantischen Schriftstellerszene“ Deutschlands. Ob man ihn selbst jedoch zu den „Romantikern“ wirklich zurechnen kann, wird bis heute lebhaft diskutiert.

Der schriftstellernde, preußische Kammergerichtsrat Hoffmann musste aber wohl über kurz oder lang mit dem repressiven, restaurativen Klima der „Metternich-Zeit“, auch Post-Napoleonische Ära genannt, aneinander geraten. Die ausufernde „Zensur“ und Hatz auf „Demagogen“ stießen dem Feingeist Hoffmann übel auf. Zwar war er alles andere als ein Sympathisant der „Studentenbünde“ und „Turnvereine“, aber als Mitglied einer staatlichen Kommission zur Prüfung der Gefährlichkeit dieser Gruppen soll er immer Fairness gewahrt haben und um sachliche Gutachten nie verlegen gewesen sein. Dem Druck, überall „gefährliche Umtriebe“ sehen zu „müssen“ und dementsprechend das Recht im „Feuer und Flamme“-Stil beugen zu sollen, gab er nicht nach. Auch das ehrt ihn, m. E. n.
Über die Arbeit dieser Kommission schreibt etwa „wikipedia“:

Die Kommission stellte in ihren Gutachten immer wieder klar, dass eine Gesinnung allein keine strafbare Handlung sei.

Wenn ich da in die Gegenwart schaue…

In seinem Werk „Meister Floh“ wird Hoffmann schließlich einen besonders eifrigen Demagogen-Verfolger, den Ministerialdirektor Karl Albert von Kamptz, bloßstellen, der immer wieder ein härteres Vorgehen gegen „staatsgefährdende Umtriebe“ befürwortete. Diese launigen Betrachtungen bringen Hoffmann aber wieder in Schwierigkeiten. Denn der durch sein fröhliches Lotterleben (seine Trinkgelage mit dem Schauspieler Ludwig de Vrient bei „Lutter und Wegner“ in Berlin waren berüchtigt und wurden später in Offenbachs Oper der „Hoffmanns Erzählungen“ erwähnt) gesundheitlich langsam aber sicher angeschlagene Staatsbeamte Hoffmann, musste sich wieder vor der Obrigkeit verantworten.

Seit etwa 1818 kränkelte Hoffmann immer wieder und ab Januar 1822 befielen Lähmungen seinen Körper. Die Rechtfertigungsschreiben für seinen „Meister Floh“ und seine letzten schriftstellerischen Werke kann er schon nicht mehr selbst verfassen, nur noch diktieren. Am 25. Juni 1822 verstarb E. T. A. (ab 1806 nennt er sich so) Hoffmann in seiner Berliner Wohnung unmittelbar am Berliner Gendarmenmarkt. Sein eingangs erwähntes Grab „vor dem Halleschen Tore“ ist seit 1952 eine Ehrengrabstätte der Stadt Berlin.

Was ist also das Vermächtnis Hoffmanns ? Schwer, das hier in wenige Worte zu fassen. Durch seine Werke zieht sich eine somnambule, oft leicht düstere Stimmung verbunden mit etwas absurden Elementen. Ihn als Vorgänger etwa eines Edgar Allan Poe zu bezeichnen, wäre m. E. n. nicht völlig von der Hand zu weisen. In jedem Falle war seine Heimat nicht allzu gnädig im Urteil. Die Tatsache, dass Hoffmann sich nicht so einfach in eine Schublade packen ließ, führte zu vielen, negativen Urteilen über sein Werk durch Zeitgenossen. In Frankreich hingegen wurden die Übersetzungen seiner Werke mit viel Wohlwollen und Interesse rezipiert. Propheten im eigenen Lande…

Quellen:

Text:

  • wikipedia,

Fotos:

Persönlichkeiten: Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin

Cecilie zu Mecklenburg-Schwerin wird wohl in unserer Region immer unvergessen bleiben, ganz gleich, welche Bilderstürmer und kampfhaften „Vergangenheitsbewältiger“ sich an den Hinterlassenschaften der vergangenen Adelswelten austoben. Und sei es nur, weil nach ihr das bekannte „Landhaus“, Schloss Cecilienhof, in Potsdam benannt ist. Da dieses, spätestens als Austragungsort der sog. „Potsdamer Konferenz“ der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges eine überregionale Bekanntheit erreicht hat, wird es wohl bis auf weiteres weder abgerissen noch umbenannt werden. Cecilies Name ist also sicher. Widmen wir ihr also (nicht nur) deshalb doch mal einige Zeilen. 

Cecilienhof im Neuen Garten zu Potsdam.

Die Hohenzollern – Thronfolger wählten im 19. und 20. Jahrhundert durchaus eigenwillige Ehepartnerinnen aus. Neben einer britischen Prinzessin, die also dem absoluten, europäischen Hochadel entstammte (die Ehefrau Friedrichs III. und Tochter der „Queen Victoria“, ebenfalls Victoria geheißen) waren auch diverse „Mauerblümchen“ aus deutschen Kleinfürsten-Familien am Start. Man denke nur an die letzte, deutsche Kaiserin, Auguste-Viktoria von Schleswig-Holstein Sonderburg-Augustenburg. Eigentlich eine typische „mesalliance“ für einen Hohenzollern-Thronfolger. Er heiratete sie dennoch und bei ihrer Beerdigung 1921 kamen über 200.000 Menschen nach Potsdam, um ihr die letzte Ehre zu erweisen, obwohl Deutschland längst eine Republik war. Sie musste also irgend etwas richtig gemacht, irgendwie durch ihre Persönlichkeit Sympathien errungen haben. Aber darüber habe ich ja im oben verlinkten Artikel schon berichtet.

Auguste-Viktorias Schwiegertochter war wieder so eine Wahl aus dem Deutschen Adel, die nicht so einfach zu verstehen war. Es wird uns Besuchern bei Besichtigungen des nach ihr, Cecilie, benannten Schlosses berichtet, sie habe sich noch als „junges Ding“ (geboren am 20. September 1886) in den preußischen Kronprinzen verliebt. Sie hätten sich bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung kennengelernt und Cecilie hätte dann wohl in Briefen und Tagebucheinträgen ihrer Schwärmerei für Wilhelm freien Lauf gelassen. Na, ja. Die Zeiten waren damals eben so. Junge Mädchen, auch aus dem Adel und Hochadel, durften ihren naiven Phantasien nachgehen, ja wurden beinahe sogar dazu angehalten. (Sagt eigentlich der Name Hedwig Courts-Mahler noch jemandem etwas hier ?)

In diesem Falle aber war die Schwärmerei nicht grundlos. Denn am 06. Juni 1905 heiratete sie den preußischen Thronfolger Wilhelm in Berlin. Ein gesellschaftliches Großereignis mit viel „Hurra“ und Glückwünschen und einem Großaufgebot an Fürstlichkeiten, die bei dieser Party mit dabei sein wollten. Ein wenig können auch wir Zeitgenossen das noch nachempfinden, wenn wir etwa an die Hochzeiten im britischen Königshaus denken. Ja, ich meine auch Meghan Markle. 🙂

Sean Young als Rachael, 1982 in „Bladerunner“.

Es sind erstaunlich viele Gemälde und Bilder von Cecilie durch die Verwüstungen der diversen Kriege hindurch erhalten geblieben. Auch manchen Bildersturm der „Weltverbesserer“ haben sie, mehr oder minder unbeschädigt, überstanden. Auf diesen Bildern sehen wir eine nicht unattraktive, schlanke Brünette mit geradem Nasenrücken, Intelligenz verratenden Augen und selbstbewusstem Blick. Die Frisuren der damaligen Zeit wirken zwar ein wenig absurd, aber Cecilie erinnert mit mancher davon fatal an die Schauspielerin Sean Young als Rachael in „Bladerunner“, was uns beweist: auch Haarmode kehrt wieder, denn dieser Film stammt von 1982, lange nach Cecilies Tod.

Man sagt Cecilie bis heute nach, dass sie nicht nur ein hübsches, „modebewusstes Kleiderpüppchen“ gewesen sei, sondern durchaus im persönlichen Gespräch durch Bildung und Intelligenz zu überzeugen wusste. Sie setzte sich für Anliegen wie die Frauenbildung ein und äußerte wohl im privaten Kreise auch fundierte Ansichten zur Tagespolitik.
Auf ihren Ehemann, Wilhelm von Preußen, konnte sie sich dabei jedoch immer weniger verlassen. Dieser widmete sich lieber seinen Leidenschaften, zu denen auch das Fremdgehen mit diversen, willigen Damen gehörte.

Zum Ende der Monarchie hin, wurde Cecilie nahegelegt, gemeinsam mit dem letzten Kaiser, der Kaiserin und (zunächst) auch ihrem Ehemann, dem Kronprinzen, ins Exil zu gehen. Die sechsfache Mutter jedoch weigerte sich hartnäckig, ihr Domizil, das 1917 fertiggestellte Schloss Cecilienhof in Potsdam, zu verlassen. Sie hatte Nerven. Gemeinsam mit den Resten des Hauses Hohenzollern erstritt sie sich im 1926 mit dem Bundesland Preußen erreichten, juristischen Kompromiss ein Wohnrecht dort im Neuen Garten. So war ihre Familie die einzige aus dem Kern des Hauses Hohenzollern, die noch über eine dauerhafte Präsenz in Berlin/Potsdam verfügte.  Ob dieses erwähnte Wohnrecht  jedoch auch für ihre Kinder gegolten hätte (das Eigentum an der Immobilie lag ja inzwischen beim Staat) ist mir nicht bekannt. Wer da näheres weiß, kontaktiert mich bitte, denn ich werde diese Information dann hier gerne ergänzen.

Das erste Enkelkind des Kronprinzenpaares.
Prinz Wilhelm von Preussen, der älteste Sohn des Kronprinzen-Paares, der sich vor Jahresfrist in Bonn mit Fräulein von Salviati verheiratete, ist am 7.Juni 1934 Vater eines Töchterchens geworden, das am 3. Oktober in Bonn in Gegenwart des Kronprinzenpaares auf den Namen Felicitas getauft wurde.
UBz: Kronprinz Wilhelm und Kronprinzessin Cecilie mit ihrem ersten Enkelkind nach der Tauffeier.
Aufnahme: E. Rolffs
38293-34

Die Ehe mit Wilhelm war jedoch weitgehend gescheitert. Man lebte zwar sporadisch noch miteinander, ging aber schon vor der Machtergreifung der Nazis und dem Zweiten Weltkrieg weitgehend getrennte Wege. Als die Nazis nach 1933 alle Traditionsvereine mit monarchischem Blickwinkel verboten, zog sich auch Cecilie ganz in ihr Privatleben zurück und gewann daraufhin Musiker und Künstler als vertrauten Kreis. Darunter auch den später weltberühmten Dirigenten Herbert von Karajan.

Vor dem Anrücken der Roten Armee floh Cecilie dann gemeinsam mit ihrem Sohn Louis-Ferdinand nach Bayern, wo sie die Nachkriegsjahre verbrachte. 1952 zog sie noch einmal nach Stuttgart um, war aber von der Öffentlichkeit weitgehend vergessen. Sie starb am 06. Mai 1954 in Bad Kissingen. Vermutlich an einem Schlaganfall. Ihr Leichnam wurde auf der Burg Hohenzollern begraben, unweit ihres 1951 verstorbenen Ehemanns Wilhelm. Ihr zweitältester Sohn Louis-Ferdinand wurde das Haupt des Hauses Hohenzollern. (-1994) Auch der heutige Chef der Hohenzollern ist ein direkter Nachfahre Cecilies.

Fazit: Cecilie blieb es verwehrt, Königin von Preußen oder gar Deutsche Kaiserin zu werden. Die Geschichte wollte es anders. Jedoch wäre eine Spekulation, was diese ebenso fotogene wie intelligente Frau aus dieser Rolle wohl gemacht hätte, sicherlich reizvoll. Wie so viele Ehen im Hause Hohenzollern blieb sie zwar „folgenreich“, was die 6 Kinder belegen, aber am Ende unglücklich. Sie und ihr Mann waren wohl letztlich zu unterschiedlich. Sie konnten und wollten ihre Charakter- und Interessenunterschiede spätestens ab 1923 (der Rückkehr Wilhelms aus dem Exil) nicht mehr überbrücken. Hat Cecilie nun ein „sinnvolles“ und „produktives“ Leben geführt ? Hat sie außer ihren Kindern noch etwas für die Nachwelt hinterlassen ? Das muss wohl jeder Betrachter selbst beurteilen.

Cecilienhof

P.S.: Wer mir jetzt einen gar zu „lässigen“ Umgang mit Cecilies eigenen Wurzeln vorwirft, der wird sicher ihre Mutter, die russische Großfürstin Anastasia Michailowna aus dem Hause der Romanows, erwähnt wissen wollen. Ja, das Argument lasse ich gelten, aber ihr Vater Friedrich-Franz III. hingegen war ja „nur“ ein „Großherzog“ von Mecklenburg-Schwerin. Weshalb mein Argument, dass Cecilie letztlich aus einem kleinen Fürstenhause stammte, auch nicht falsch ist. 🙂

Quellen:

Bilder:

  • Bundesarchiv, Bild 183-R37110 / CC-BY-SA 3.0
  • von mir, 2019
  • von mir, 2019
  • Philip de László, 1908, gemeinfrei

Text:

  • diverse Erzählungen von Guides aus Cecilienhof,
  • wikipedia,

Persönlichkeiten: Otto Lilienthal – der Segelflieger

Ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst: Fliegen. Ob wohl der Höhlenmensch schon neidisch den Vögeln hinterherschaute ? Karl Wilhelm Otto Lilienthal träumte diesen Traum im 19. Jahrhundert auch. Und er machte sich tatkräftig daran, ihn zu verwirklichen. Spätere Flugpioniere verdanken seiner Arbeit viel, er brachte den Bereich des Tragflächenbaus, die Aerodynamik des „schwerer-als-Luft-Fliegens“ entscheidend weiter. Ein Pionier, der mit seinem Leben für den Traum bezahlte. Unvergessen bis heute. 

Der Name „Otto Lilienthal“ lässt in unserer Region Berlin-Brandenburg bis heute noch Glöckchen klingeln im Gedächtnis. Zwar werden sie deutlich leiser, aber der Name dieses Flugpioniers ist bislang fest verankert. In den Namen von Straßen, Schulen und dem Flughafen Tegel, dessen Nachfolger jedoch diesem Träumer die Ehre des Namens verweigern wird. Eine andere Geschichte…

Wie viele bekannte „Berliner“ stammte Lilienthal gar nicht aus der Region sondern wurde 1848 im mecklenburgischen Anklam geboren. Als ältester Sohn des Kaufmanns Gustav Lilienthal. Als Otto zwölf Jahre alt ist, beschließt die Familie, aus wirtschaftlichen Gründen in die USA auszuwandern. Man stelle sich das mal vor: Otto Lilienthal und die Gebrüder Wright im selben Land ! Aber soweit kam es nicht, der überraschende Tod des Vaters verhindert die Auswanderung. Otto blieb uns also erhalten. Ebenso wie sein ein Jahr jüngerer Bruder, Gustav jr. , mit dem er später vieles gemeinsam unternahm.

Nach dem Schulabschluss ging es für Otto nach Potsdam in die Gewerbeschule. Später zur Gewerbeakademie nach Berlin, aus der dann die Technische Hochschule Charlottenburg werden wird, wiederum ein Vorgänger der heutigen TU-Berlin. Nachdem er dort seine Ausbildung im Maschinenbau abschließt, geht Lilienthal als „Einjähriger“ zum Militär. Welches damals im Krieg mit Frankreich steht, an dem er teilnimmt und seinem Bruder Gustav schriftlich über die Beobachtung von Heißluftballons berichtet.

Soweit, so unspektakulär. Wenn man jedoch weiß, dass Otto und Gustav Lilienthal weiter Studien über die Luftströmung anstellten und zeitgenössische Fachvorträge über den „Flügelschlag“ verfolgten, kann man diese Zeit als Vorbereitung der eigenen, praktischen Versuche späterer Jahre ansehen.

Zunächst einmal waren die Lilienthals aber als Erfinder tätig. U. a. entwarfen sie das „Anker-Steinbaukasten“-Spielzeug, dessen Idee sie verkauften. Ebenso wie verschiedene, andere Entwürfe. Erst mit einem sog. „Schlangenrohrkessel“, den sie mit einem Wandmotor kombinierten, konnten sie sich schließlich wirtschaftlich „freischwimmen“ und ihr eigenes Unternehmen aufbauen. Die „Dampfkessel- und Maschinenfabrik Otto Lilienthal“.

Otto Lilienthal veröffentlichte 1889 die Ergebnisse seiner bisherigen Studien im Aufsatz: „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“. Dieser fand in seiner Heimat praktisch keinerlei Anklang, da man in Deutschland weiter auf Ballons und Starrluftschiffe setzte. International wurde er jedoch wahrgenommen und reflektiert. Immerhin sah Lilienthal nun die Zeit als gekommen an, von der reinen Theorie zur Praxis überzugehen und so neue Daten zu gewinnen.

Lilienthal-Gedänkstätte Berlin-Lichterfelde

Ab 1991 stellte er dann mit seinen Flug-Gleitern Versuche an verschiedenen Orten und aus verschiedenen Höhen an. 1894 ließ er dazu sogar in Lichterfelde einen „Fliegeberg“ genannten, 15 m hohen Hügel aufschütten, der kleine Gleitflüge bis zu 80 m Weite ermöglichte. 1932 wurde daraus die „Lilienthal Gedenkstätte“ gemacht, die noch heute besteht und besucht werden kann.

Lilienthals Stärke war es, seine Ergebnisse, seine Tabellen mit Daten und seine Konstruktionsdaten für Flug-Gerät auch zu publizieren. So erlangte er sogar internationale Anerkennung, wenn ihn russische, französische und amerikanische Flug-Enthusiasten besuchten und mit ihm fachsimpelten. Später wird ihm etwa einer der Wright-Brüder große Anerkennung zollen. Wie wir wissen etwas, das Amerikaner nur selten für Nichtamerikaner tun. Sie behaupten ja auch bis heute steif und fest, dass etwa Henry Ford das Automobil erfunden hätte….

Ab 1893 ging übrigens auch eine der Konstruktionen Lilienthals in Serienproduktion, womit er den ersten „kommerziellen“ Segel-Flugapparat der Welt gebaut haben dürfte.  Am sog. „Gollenberg“ bei Stölln, unternimmt Lilienthal weitere Tests, die er ebenso akribisch dokumentiert, wie alle seine Unternehmungen. Am 09. August 1896 ist er weiter dabei, Flugversuche zu machen und Daten zu sammeln. Zwei Flüge gehen gut, bevor er einen dritten Versuch unternimmt und eine unvorhergesehene Windbö seinen Gleiter erfasst. Der Auftrieb geht verloren, Lilienthal stürzt fast senkrecht zu Boden. Dabei wird sein Rückgrat auf der Höhe des dritten Halswirbels durchtrennt.

Im Zug wird sein Körper noch nach Berlin ins Krankenhaus überführt, aber eine schleichende Hirnblutung macht seinem Leben am 10. August 1896 ein Ende. Der Träumer hat mit dem Leben für die Umsetzung seiner Ideen gezahlt. Otto Lilienthal ist auf dem „Friedhof Lankwitz“ in Berlin beigesetzt. Seine Grabstätte ist heute ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Die dokumentierten „famous last words“ hingegen: „Opfer müssen gebracht werden.“ sind vermutlich aber nicht authentisch, sondern wurden ihm später beigelegt.

Zur Nachwirkung Lilienthals, vor allem seiner Forschung zur Form von Tragflächen und seiner diesbezüglichen Daten sei hier Wilbur Wright zitiert, dem folgende Sätze zugeschrieben werden:

Von allen, die das Problem des Fliegens im 19. Jahrhundert behandelten, war Otto Lilienthal zweifelsfrei der Bedeutendste. […] Niemand tat so viel dafür, das Problem des menschlichen Fluges in die freie Luft zu überführen, wohin es gehört. […] Als Forscher war er unter seinen Zeitgenossen ohne Konkurrenten. Er entschlüsselte die Vorteile der gewölbten Fläche so überzeugend, dass er als ihr eigentlicher Entdecker gelten kann. Andere haben die Wölbung des Vogelflügels bemerkt und über die Möglichkeit spekuliert, dass ein gewölbter Flügel einem völlig glatten überlegen sei. Lilienthal demonstrierte den Grund für diese Überlegenheit und machte aus der puren Spekulation akzeptiertes Wissen. …die Welt steht tief in seiner Schuld.

Es gibt heute diverse Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte für Otto Lilienthal, wobei immerhin das Museum in seiner Geburtsstadt Anklam lange beklagte, dass diesem Pionier der Luftfahrt, anders als es andere Länder mit ihren Bahnbrechern tun, bis heute hierzulande zu wenig Ehre und öffentliche Anerkennung zuteil würde. Wer etwa weiß, welchen Stellenwert die von mir bis zum Anschlag als Maßstab herbeigezogenen Wright-Brüder in der Bildung, der Gedenkkultur und dem Selbstwertgefühl der USA haben, möchte vielleicht Lilienthal ähnlich geehrt sehen.

Ich weiß nicht, ob diese Kritik so wirklich faktisch ist. Immerhin gibt es so einige Orte, an denen man Leben und Wirken Otto Lilienthals nachspüren kann. Briefmarken wurden ihm gewidmet, Straßen und Schulen nach ihm benannt. Doku-Filme über ihn gedreht, seine Flugapparate nachgebaut und in vielen, deutschen Museen ausgestellt. Dass sein Name nach der Schließung des Flughafens Tegel in Berlin nicht mehr auf einem der „Tore zur Welt“ in der Region stehen wird, mag traurig sein, aber Otto Lilienthal scheint trotz allem unvergessen zu sein. Das ist gut so.

Das Otto-Lilienthal-Museum in Anklam:

http://www.lilienthal-museum.de/olma/home.htm

Das Otto-Lilienthal-Centrum in Stölln:

https://www.otto-lilienthal.de

Quellen:

Fotos:

  • gemeinfrei,
  • von mir, 2019

Text:

  • wikipedia,
  • genannte Museen, historische Orte (s. o. verlinkte Seiten),