Aus der Serie „100 Jahre Groß-Berlin, 1920 – 2020“:
Immer wieder taucht bei der Behandlung der Formierung Groß-Berlins der Begriff „Zweckverband“ auf. Wo immer man recherchiert, wird dieser seit 1912 gesetzlich vorgeschriebene Interessenverband im Großraum Alt-Berlins erwähnt. Was war dieser Verband und war er wirklich als „Vorstufe“ zur großangelegten Gebietsreform gedacht, die dann 1920 letztlich eintrat ? Schauen wir mal.
„Zweckverband“ Groß-Berlin. Zum ersten Male wurde ich vor einigen Jahren mit diesem Begriff konfrontiert, als ich über den Bau des Rathauses Spandau nachlas. Die Quellen sind sich nicht einig, entweder soll bei der Grundsteinlegung, oder bei der Eröffnung dieses Gebäudes ein lokaler Handwerksmeister die „goldenen“ Worte gesprochen haben:
Es schütze uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband.
Das hätte dann etwa im Jahre 1911 oder 1913 stattgefunden. Wie dem auch immer sein mag, in jedem Falle sehen wir hier beide Projekte, nämlich „Groß-Berlin“ und „Zweckverband“ als negative Projektionen. In Spandau waren bis zuletzt beide nicht sonderlich beliebt. Und wohl nicht nur dort, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.
Dem Zweckverband aber konnten Gemeinden wie Spandau, Lichtenberg oder Schöneberg immerhin nicht entkommen, wenn sie es überhaupt wollten. Denn dieser wurde per Gesetz „angeordnet“. Durch die preußische Staatsregierung am 19. Juli 1911 mit Wirkung zum 01. April 1912. Quellen wollen wissen, dass diese „Ordre“ wohl vor allem deshalb erging, weil die Staatsregierung die sich spätestens seit der Jahrhundertwende abzeichnende Bewegung hin zu „Groß-Berlin“ etwas kanalisieren wollte. Sie möglicherweise auch ein wenig ausbremsen mochte, denn das Aufgabenfeld dieser Organisation beschränkte sich auf die drei wichtigsten Problemfelder und alle Gemeinden über 50.000 Einwohnern waren gleichgewichtig stimmberechtigt. Für alle anderen Gemeinden, die nicht „Alt-Berlin“ waren, stimmten die Landkreise Niederbarnim und Teltow ab, die dem Verband ebenfalls angehörten. Brisant dabei: Berlin konnte locker mit den gesammelten Stimmen der anderen Städte und Kommunen überstimmt werden. Für Oberbürgermeister Wermuth natürlich ein dauerhaftes Ärgernis. Diese Maßnahme war aber als Ausgleich des vermeintlichen „Übergewichts“ der Reichshauptstadt an Bedeutung und Wirtschaftskraft gedacht.
Hauptsächlich drei Aufgaben sollte dieser Zweckverband erfüllen:
- Regelung des Verhältnisses zu öffentlichen, auf Schienen, betriebenen Transportanstalten (Ausnahme: Staatseisenbahn)
- Beteiligung an der Feststellung der Fluchtlinien & Bebauungspläne, Mitwirkung an dem Erlass von Baupolizeiverordnungen,
- Erwerbung & Erhaltung größerer, von der Bebauung freizuhaltenden Flächen
Da gleichzeitig auch die „nominelles Berlin“-Bewegung ihren Höhepunkt und Abschluss feiern konnte (eine Initiative, die sich spätestens seit 1909 hauptsächlich damit befasste, diversen Berliner Vororten schon einmal den Namen „Berlin-“ voranzustellen, um die Eingemeindung sozusagen begrifflich vorzubereiten und den kommenden, geographischen Fusionsrahmen abzustecken) ist es nicht verwunderlich, dass 1912 vor allem linke, der SPD nahestehende Zeitungen bereits über die „Vollendung Groß-Berlins“ jubelten. Na, ja. Zu früh gefreut.
Der Zweckverband lieferte aber immerhin Ergebnisse. Neben der erst 1918 beschlossenen Anpassung der Straßenbahntarife aller beteiligten Kommunen und den Vorarbeiten für die im Dezember 1920 erfolgte Zusammenlegung der verschiedenen, kommunalen Straßenbahnen, ist hier vor allem der sog. „Dauerwaldvertrag“ von 1915 zu nennen. Der Zweckverband kaufte große Waldgebiete in den beteiligten Landkreisen auf, die auf „Dauer“ als Grün- und Erholungsgebiete ausgeschrieben wurden. Teilweise liegen diese Gebiete sogar heute noch außerhalb des Berliner Stadtgebietes und werden noch immer von Berliner Förstereien verwaltet ! Eigentliche Haupt-Auswirkung dieses Vertrages ist aber die Tatsache, dass in Berlin ausgedehnte Waldgebiete zu finden sind, die Berlin zu einer der grünsten Hauptstädte Europas machen. Vor allem die Außenbezirke (Treptow-)Köpenick, Reinickendorf, (Steglitz-)Zehlendorf und Spandau laden zu Waldspaziergängen ein. Laut Amt für Statistik liegt die reine Waldfläche innerhalb der Stadtgrenzen noch bei 17,7 %. Hier sind landwirtschaftlich genutzte Flächen und Parks nicht eingerechnet. Inklusive diverser Wasserflächen liegt der Anteil „blauer und grüner“ Flächen in Berlin bei beeindruckenden gut 29 %.
Zurück aus der Statistikabteilung: Die kleinen, in harten Verhandlungen beschlossenen Fortschritte beim Zusammenwachsen der Groß-Berlin-Region, die der Zweckverband lieferte, waren aber den unerbittlichen Groß-Berlin-Fundamentalisten, die die „Einheitsregierung“ lieber heute als morgen haben wollten, nicht genug. Als Beispiel für einen solchen Ungeduldigen habe ich bereits den Schöneberger Bürgermeister Alexander Dominicus porträtiert. Bei Interesse lesen Sie doch bitte das kleine Personenporträt dieses hochengagierten Kommunalpolitikers unter dem obigen link nach.
Immer neue Initiativen zur stärkeren Vernetzung, zur stärkeren Zusammenarbeit der z. T. schon als „Berlin-Schöneberg“ etc. titulierten Städte und Gemeinden wurden gestartet. Wie etwa die Gründung des „Bürgerausschusses-Berlin“, der ab 1917, also noch mitten im Ersten Weltkrieg, wo Hunger und Mangelwirtschaft sowie die Frontverluste die Aufmerksamkeit der Bürger gefangenhielten, damit begann, in der Region erneut für Groß-Berlin zu trommeln. Der Zweckverband geriet dabei deutlich ins Hintertreffen. Die „Vorwärtsdränger“ wollten mehr, übergingen dieses Gremium, das ihre hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt hatte, bereits.
Nach dem Ersten Weltkrieg, nach Revolution und Demokratisierung Deutschlands wurden die Widerstände gegen „Groß-Berlin“ schwächer. Eine preußische Staatsregierung, deren Minister aus SPD und Liberalen kamen, leistete keinen Widerstand mehr, der Zweckverband war wie erwähnt bereits marginalisiert und die vereinzelten Bürgerproteste in einigen Kommunen (Zehlendorf, Buch) wurden eiskalt ignoriert. Z. T. richteten sich diese auch mehr gegen die angedachten, neuen Bezirkszuordnungen, als gegen die Eingemeindung als solche (Friedenau).
Der Zweckverband hatte mit der Verabschiedung des „Groß-Berlin-Gesetzes“ am 25. April 1920, seiner Veröffentlichung zwei Tage später und dem Inkrafttreten am 01. Oktober 2920 seine Bedeutung verloren und wurde folgerichtig 1921 aufgelöst. Die Frage aber bleibt: War er ein Schritt auf dem Weg zu „Groß-Berlin“, eine Art „Vorreiter“ der Groß-Berlin-Bewegung, oder ein aus kommunalpolitischem Pragmatismus heraus gegründetes, dringend benötigtes Koordinationsgremium und nicht mehr ?
Vermutlich kommt es darauf an, wen man etwa 1913 dazu befragt hätte. Ein Spandauer Bürgermeister Friedrich Koeltze, vielleicht auch der Lichtenberger OB Oskar Ziethen hätten sicher pragmatische Gründe für eine Koordination bestimmter Entwicklungen in der Region benannt. Der hier schon erwähnte Alexander Dominicus hingegen hätte keinen Zweifel an der Vorreiter-Rolle des Zweckverbandes gelassen und dementsprechend wird dieses Gremium auch heute in der Fachliteratur weitgehend einheitlich eingeschätzt.
P.S.: Auf Wunsch eines Freundes hier noch einmal die maßgeblichen Mitglieder des Zweckverbandes aufgezählt: Alt-Berlin, Charlottenburg, Deutsch-Wilmersdorf, Schöneberg, Deutsch-Rixdorf/Neukölln, Lichtenberg, Spandau, sowie die Landkreise Niederbarnim und Teltow.
Quellen:
Text:
- BERLIN.de
- BERLINGESCHICHTE
- DEACADEMIC.com (Dauerwaldvertrag)
- DEACADEMIC.com (Zweckverband)
- 100 Jahre Groß-Berlin.de
Fotos:
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